Der Stoff, aus dem unser Verstand entsteht / Bewusstsein I

R: Guten Morgen!

A: Guten Tag! Du riechst frisch!

R: Ich konnte lange schlafen und habe gerade geduscht. Ich fühle mich wohl und ausgewogen!

A: Setz dich, ich schenke dir einen frischen Kaffee ein!

R: Danke, der Kaffee riecht gut! Es ist 12:00 Uhr!

A: Der Tag fängt gleich an!

R: Wann bist du aufgestanden?

A: Gegen 10:00 Uhr!

R: Du hast die Küche aufgeräumt, danke dir!

A: Keine Ursache! Gestern Abend haben wir über meinen verwirrten Geist während meiner fiebrigen Grippe diskutiert und haben uns mit dem Thema «Geist» auseinandergesetzt.

R: Information, Denken und Bewusstsein sind unentbehrliche Bestandteile des Geistes. Stelle dir folgendes Szenario vor: Während ich diese Worte tippe, während ich Popcorn nasche und leise Musik im Hintergrund spielt, spüre ich ein ganzes Spektrum innerer Erlebnisse: Druck an meinen Fingerspitzen, einen salzigen Nachgeschmack, einen geistigen Monolog, mit dem ich den nächsten Teil dieses Satzes vorbreite. Die Innenwelt eines andern nimmt diese Worte auf, hört vielleicht, wie eine innere Stimme sie spricht, und fühlt sich vielleicht durch das letzte Stück Schokoladenkuchen im Kühlschrank abgelenkt. Jetzt fragt es sich, worum es an sich geht?

A: Fragst du mich?

R: Ja, worum es uns geht?

A: Ganz einfach: Unser Geist beherbergt ein ganzes Spektrum innerer Empfindungen – Gedanken, Gefühle, Erinnerungen, Bilder, Wünsche, Geräusche, Gerüche und anderes…

R: Bestimmt, und alles gehört zu dem, was mit «Bewusstsein» gemeint ist, das wir heute erörtern!

A: Prima!

R: Du kannst beginnen!

A: Wie kommt es, dass wir bewusstwerden? Genauer gesagt, wie kommt es, dass wir jemals im Akt des Erkennens das Selbst empfinden?

R: Wir beginnen mit dem, was im Organismus geschieht, wenn er mit einem Objekt interagiert, egal, ob es tatsächlich wahrgenommen oder erinnert wird, ob es sich in den Grenzen des Körpers befindet, zum Beispiel der Schmerz, oder ausserhalb dieser Grenzen, zum Beispiel eine Landschaft. Diese Schilderung ist eine einfache Erzählung ohne Worte. Sie hat die handelnde Person, nämlich den Organismus. Sie entfaltet sich in der Zeit. Und sie hat einen Anfang, ein Mittelstück und ein Ende. Der Anfang entspricht dem ursprünglichen Zustand des Organismus. Das Mittelstück ist die Ankunft des Objektes. Das Ende besteht aus den Reaktionen, die zu einem modifizierten Zustand des Organismus führen.

A: Ist diese Beschreibung der Zustand, in dem wir Bewusstheit erlangen?

R: Allerdings. Wir werden bewusst, wenn unser Organismus eine bestimmte Art von wortlosem Wissen innerlich konstruiert und innerlich darbietet – dass sich unser Organismus durch ein Objekt verändert hat – und wenn dieses Wissen zusammen mit der hervorgehobenen innerlichen Darbietung eines Objekts auftritt. Die einfachste Form, in der dieses Wissen entsteht, ist das Gefühl des Erkennens.

A: Wie wird solches Wissen gesammelt?

R: Ich glaube, wenn die Repräsentationsmechanismen des Gehirns einen vorgestellten, nicht sprachlichen Bericht erzeugen, in dem niedergelegt ist, wie der eigene Zustand des Organismus davon beeinflusst wird, dass er ein Objekt verarbeitet, und wenn dieser Prozess die Vorstellung von dem verursachenden Objekt verstärkt, sodass es in einem räumlichen und zeitlichen Kontext hervorgehoben wird. Bewusstsein hängt von der inneren Konstruktion und Darbietung neuen Wissens über eine Interaktion zwischen einem Organismus und einem Objekt ab. Der Organismus als Einheit wird im Gehirn des Organismus kartiert, und zwar in Strukturen, die das Leben des Organismus regulieren und seine inneren Zustände fortlaufend signalisieren; auch das Objekt wird im Gehirn abgebildet, und zwar in den sensorischen und motorischen Strukturen, die durch die Interaktion des Organismus mit dem Objekt aktiviert werden. Und die sensomotorischen Karten, die das Objekt betreffen, rufen Veränderungen in den Karten hervor, die den Organismus betreffen.

A: Und warum tritt dieses Wissen in Gestalt eines Gefühls auf?

R: Die Verfolgung von Zielen und die Rebellion dagegen gehören zu einem lebendigen Organismus. Ein lebendiger Organismus ist ein Agent mit eingeschränkter Rationalität, der nicht nur ein Einzelziel verfolgt, sondern stattdessen Faustregeln darüber zulässt, was zu verfolgen und was zu vermeiden wäre. Unser menschlicher Geist nimmt im Laufe der Evolution herausgebildete Faustregeln als Gefühle wahr, die normalerweise (und häufig, ohne dass es bewusst ist) unsere Entscheidungen beeinflussen. Hunger- und Durstgefühle schützen uns vor dem Verhungern und Verdursten, Schmerzgefühle schützen uns davor, unserem Körper Schaden zuzufügen, Lustgefühle bringen uns dazu, uns fortzupflanzen, Liebesgefühle und Mitgefühl veranlassen uns, anderen Trägern unserer Gene und jenen, die sie unterstützen, zu helfen, und so weiter.

A: Zu welchem Zeitpunkt findet das Bewusstsein statt?

R: Als ich ein Kind war, glaubte ich, uns würden die Ereignisse in dem Moment bewusst, in dem sie geschehen – ohne die geringste Verzögerung. Obwohl es für mich immer noch subjektiv dasselbe Gefühl ist, kann es nicht stimmen, da mein Gehirn Zeit benötigt, um die Informationen zu verarbeiten, die über meine Sinnesorgane eingehen.

A: Als Kind habe ich auch die gleiche Empfindung gehabt!

R: Wenn das Licht eines komplizierten Objekts auf dein Auge trifft, nimmt es etwa eine Viertelsekunde in Anspruch, bis du es bewusst als das erkennst, was es ist. Das heisst, wenn du auf der Landstrasse mit 100 Stundenkilometern fährst und siehst plötzlich ein Eichhörnchen ein paar Meter vor dir, ist es zu spät, irgendetwas zu tun, weil du es bereits überfahren hast!

A: Das heisst, unsere verzögerte Wahrnehmung ist eine von der Natur gegebene Konstitution!

R: Exakt. Zusammengefasst lässt sich sagen: Unser Bewusstsein lebt in der Vergangenheit. Forscher schätzen, dass das Bewusstsein eine Viertelsekunde hinter der Aussenwelt herhinkt. Interessanterweise können wir häufig schneller auf Dinge reagieren, als sie uns bewusstwerden, was beweist, dass die Informationsverarbeitung, die für unsere schnellsten Reaktionen zuständig ist, unbewusst sein muss. Wenn beispielweise ein fremdes Objekt sich deinem Auge nähert, kann dein Blinzelreflex innerhalb einer blossen Zehntelsekunde dein Augenlid schliessen. Es ist so, als empfange eines deiner Gehirnsysteme verdächtige Informationen vom Sehsystem und berechne eine Gefahr für dein Auge, schicke eine E-Mail an deinen Augenmuskel mit der Anweisung, zu blinzeln, während es gleichzeitig per E-Mail dem bewussten Teil deins Gehirns sagt „Hey, wir werden jetzt mal blinzeln». Sobald die E-Mail gelesen worden ist und deinem bewussten Erleben einverleibt wurde, hat das Blinzeln bereits stattgefunden.

A: Möchtest du etwas trinken?

R: Jetzt nicht, später!

A: Ich höre dir gerne zu!

R: Tatsächlich wird das System, das die E-Mail liest, fortwährend mit Botschaften aus allen Winkeln deines Körpers bombardiert. Einige treffen mit grösserer Verzögerung ein als andere. Nervensignale von deinen Fingern brauchen länger, um dein Gehirn zu erreichen, als solche von deinem Gesicht, was auf die Entfernung zurückzuführen ist. Ausserdem brauchst du länger, um Bilder zu verarbeiten, als es bei Klängen der Fall ist, weil Bilder komplizierter sind. Das ist der Grund, warum die Wettläufe bei Olympischen Spielen mit einem Schuss gestartet werden und nicht mit einem visuellen Reiz. Dennoch, wenn du deine Nase berührst, dann erlebst du bewusst die Empfindung an Nase und Fingerspitze gleichzeitig, und wenn du in die Hände klatschst, siehst, hörst und fühlst du das Klatschen genau zur gleichen Zeit. Das heisst, dass dein vollständiges bewusstes Erleben eines Ereignisses erst dann hervorgebracht wird, wenn die letzten verbummelten Berichte per E-Mail eingetroffen und analysiert worden sind.

A: Wie wird das Bewusstsein definiert?

R: Ähnlich wie bei «Leben» und «Intelligenz» gibt es keine eindeutige korrekte Definition des Wortes «Bewusstsein». Um das Bewusstsein wirklich zu verstehen, müssen wir einigen Erklärungen auf den Grund gehen.

A: Würdest du bitte mit einer einfachen Schilderung beginnen?

R: Wenn wir in einem gängigen Wörterbuch nach einer Definition für Bewusstsein suchen, so finden wir, mit leichten Abwandlungen, ungefähr Folgendes: «Bewusstsein ist ein Zustand der Wahrnehmung des eigenen Ichs und der Umgebung.» Ersetzen wir Wahrnehmung durch Kenntnis und Ich durch eigene Existenz, so erhalten wir eine Aussage, die einige wesentliche Aspekte des Bewusstseins einschliesst: «Bewusstsein ist ein Geisteszustand, in dem man Kenntnis von der eigenen Existenz und der Existenz einer Umgebung hat.»

A: Ist das Bewusstsein ein Zustand des Geistes?

R: Ohne Geist gibt es auch kein Bewusstsein. Bewusstsein ist dennoch ein ganz bestimmter Zustand des Geistes, mit einem Gespür für den Organismus, in dem der Geist arbeitet. Zu einem solchen Geisteszustand gehört ausserdem das Wissen darüber, dass sich besagte Existenz irgendwo befindet, und dass es um sie herum Objekte und Ereignisse gibt. Bewusstsein ist ein Geisteszustand, zu dem ein Selbst-Prozess hinzukommt.

A: Ich koche mir einen Kaffee, willst du auch einen?

R: Gerne!

A: Erzähle weiter!

R: Bewusstsein ist auch die Art und Weise, wie sich Information anfühlt. Mit anderen Worten, wenn etwas sich so anfühlt, als seist es genau du in just diesem Augenblick, dann bist du bewusst. Dies kommt zustande, wenn das Modell, das der Mensch in seinem Gehirn von sich hat, mit dem Weltmodell seines Gehirns reagiert.

A: Ist das Bewusstsein eine subjektive Wahrnehmung, eine subjektive Erfahrung?

R: Ja, wenn wir das Bewusstsein als subjektives Erleben definieren. Wir wissen nicht nur, dass wir bewusst sind, sondern es ist sogar das Einzige, das wir mit völliger Sicherheit wissen! Unser Bewusstsein beobachtet eigentlich nicht die Aussenwelt, sondern vielmehr ein ausgefeiltes, in unserem Gehirn enthaltenes Wirklichkeitsmodell, das durch den Datenstrom aus unseren Sinnesorganen, die verfolgen, was eigentlich in der Aussenwelt geschieht, ständig auf dem Laufenden gehalten wird. Unser Weltmodell beinhaltet nicht nur Informationen über den augenblicklichen Zustand unserer Umgebung, sondern auch Erinnerungen an den Zustand unserer Umgebung in der Vergangenheit.

A: Der Kaffee ist schon bereit, ich stelle die Kaffeekanne auf den Tisch und schenke dir und mir einen frischen Kaffee ein!

R: Danke für den Kaffee. Also, unter normalen Umständen, wenn wir wach und aufmerksam sind und uns weder aufregen noch angestrengt nachdenken, haben die Bilder, die uns durch den Kopf gehen, einen Blickwinkel: nämlich unseren eigenen. Und wir erkennen uns spontan selbst als Subjekt unseres mentalen Erlebens. Die Inhalte in meinem Kopf gehören mir, und ich gehe automatisch davon aus, dass die Inhalte in deinem Kopf dir gehören. Jeder von uns betrachtet mentale Inhalte aus einer charakteristischen Perspektive – meiner oder deiner oder ihrer. Wenn wir gemeinsam dieselbe Szene betrachten, erkennen wir sofort, dass unsere Blickwinkel unterschiedlich sind.

A: Es ist verblüffend, wie wir die Objekte um uns herum aufgrund unseres Bewusstseins verschiedenartig wahrnehmen!

R: Als «Bewusstsein» bezeichnen wir den ganz natürlichen und charakteristischen mentalen Zustand. Dieser mentale Zustand erlaubt seinem Besitzer, ganz privat die Welt um sich herum zu erleben und, was ebenso wichtig ist – Aspekte des eigenen Seins zu erfahren. Diese Perspektive ist für den Gesamtprozess des Bewusstseins von so entscheidender Bedeutung, dass man leicht versucht ist, einfach über «Subjektivität» zu reden und den Begriff «Bewusstsein» wie auch die Ablenkungen, die er häufig verursacht, beiseite zu lassen.

A: Sind die subjektiven und objektiven Empfindungen im Bewusstsein immer vorhanden?

R: Nur der Begriff «Bewusstsein» vermittelt einen zusätzlichen, wichtigen Bestandteil der bewussten Zustände: das integrierte Erleben, das darin besteht, mentale Inhalte in ein mehr oder weniger einheitliches, vieldimensionales Panorama einzuordnen. Zusammenfassend gesagt sind Subjektivität und integriertes Erleben die entscheidenden Bestandteile des Bewusstseins.

A: Wie wird das Bewusstsein beobachtet?

R: Der bewusste Zustand des Geistes hat mehrere wichtige Merkmale. Er schläft nicht, sondern ist wach. Er ist nicht benommen, verwirrt oder abgelenkt, sondern aufmerksam und fokussiert. Er ist über Zeit und Ort orientiert. Die geistigen Bilder – Geräusche, visuelle Eindrücke, Gefühle und was es sonst noch sein mag – werden ordnungsgemäss gebildet, sind klar dargestellt und lassen sich betrachten. Jedoch wäre das nicht der Fall, wenn wir unter der Wirkung «psychoaktiver» Substanzen stehen würden, vom Alkohol bis zur psychedelischen Droge.

A: Es scheint, dass unser Bewusstsein differenzierte Funktionen hat!

R: Auf jeden Fall. Im Theater unseres Geistes – unserem eigenen cartesianischen Theater, warum denn nicht – ist der Vorhang hochgezogen; die Schauspieler stehen auf der Bühne, sprechen und bewegen sich; die Scheinwerfer sind ebenso eingeschaltet wie die Geräuscheffekte, und nun kommt der entscheidende Teil der Szene: Es gibt ein Publikum, nämlich uns selbst.

A: Was ist cartesianisches Theater?

R: Der Begriff, nämlich das cartesianische Theater, wurde von dem Philosophen Daniel Dennett geprägt, nach dem es irgendwo im Gehirn oder im Geist einen Ort gibt, an dem alles zusammenläuft und Bewusstsein stattfindet. Laut cartesianischem Theater glauben die meisten Menschen, dass es im Gehirn eine Art Leinwand gebe, auf die jemand schaue – eine Art mentale Darstellung mit mir als Beobachter des Schauspiels.

Bild: Cartesianisches Theater. Ich habe das Gefühl, dass ich irgendwo in meinem Kopf sitze und nach draussen blicke und dass ich die Welt durch die Augen und Ohren wahrnehme, mir vor dem inneren Auge Dinge vorstelle und Arme und Beine steuere, um zum Beispiel ein Ei in der Pfanne brate.   

 

A: Was für eine vielseitige und seltsame Bühne! Bitte erzähle weiter!

R: Eben, wir sehen uns selbst nicht. Wir spüren oder fühlen ganz einfach, dass vor der Theateraufführung auf der Bühne eine Art Ich sitzt, das Subjekt und Publikum der Show, das einen Raum von der undurchdringlichen vierten Wand der Bühne einnimmt. Und ich fürchte, auf uns warten noch bizarrere Dinge, denn gelegentlich haben wir unter Umständen sogar das Gefühl, dass ein anderer Teil von uns, nun ja, dass Ich beobachtet werde, während ich die Aufführung beobachte. Das alles spielt sich ab, als ob es ein Theater oder eine riesige Kinoleinwand gäbe, und als ob ein Ich oder Du im Publikum sässe.

A: Was können wir als Subjekt des eigenen bewussten Geistes sonst noch beobachten?

R: Unser bewusster Geist ist kein Monolith. Er ist zusammengesetzt. Er hat Teile. Diese Teile sind gut integriert, und manche hängen von anderen ab. Je nachdem, wie wir die Beobachtung anstellen, fallen uns manche Teile stärker auf als andere. Der Teil unseres bewussten Geistes, der am stärksten hervorsticht und in der Regel die Abläufe beherrscht, besteht aus Bildern vieler verschiedener sensorischer Ketten – visuellen, akustischen, taktilen, geschmacklichen und olfaktorischen. Die meisten derartigen Bilder entsprechen Gegenständen und Ereignissen unserer Umwelt. Sie sind mehr oder weniger stark zu Gruppen zusammengefasst, und ihre jeweilige Häufigkeit steht im Zusammenhang mit den Tätigkeiten, die wir in dem betreffenden Zeitpunkt gerade ausführen.

A: Welche Inhalte hat der Akt der Beobachtung?

R: Wenn wir Musik hören, können Klangbilder durchaus eine beherrschende Stellung haben. Wenn wir beim Essen sitzen, nehmen Geschmacks- und Geruchsbilder eine besonders auffällige Stellung ein. Manche Bilder bilden Narrative oder Teile davon. Eingestreut zwischen den Bildern, die im Zusammenhang mit der aktuellen Wahrnehmung stehen, sind auch häufig andere Bilder, die aus der Vergangenheit rekonstruiert und im jeweiligen Augenblick abgerufen wurden, weil sie für den derzeitigen Ablauf von Bedeutung sind. Sie gehören zu Erinnerungen an Gegenstände, Tätigkeiten oder Ereignisse, die in alte Narrative eingebettet sind oder als Einzelelemente gespeichert wurden. Unser bewusster Geist enthält auch Schemata, die Bilder oder Abstraktionen dieser Bilder verknüpfen. Je nach der eigenen mentalen Befindlichkeit kann man diese Schemata und Abstraktionen mehr oder weniger klar wahrnehmen. Damit meine ich beispielweise, dass man wie durch ein dunkles Glas sekundäre Bilder von Bewegungen im Raum oder von den räumlichen Beziehungen zwischen Objekten konstruieren kann.

A: Es ist beeindruckend, was beobachtet wird!

R: In diesem Supergehirnfilm fliessen auch Symbole, und manche davon bilden eine verbale Spur, die Gegenstände und Handlungen in Worte und Sätze übersetzt. Für die meisten Menschen ist die verbale Spur vor allem akustisch geprägt, und sie muss nicht umfassend sein – nicht alles wird übersetzt, unser Geist schreibt keine Untertitel für jede Dialogzeile und keine Beschreibung für jeden Anblick. Es ist eine verbale Spur, die Bilder aus der Aussenwelt je nach Bedarf übersetzt, das Gleiche tut sie aber notwendigerweise auch mit Bildern aus der Innenwelt.

A: Wieso gibt es eine verbale Spur?

R: Dass es eine verbale Spur gibt, ist eine der verbliebenen und bisher unangreifbaren Rechtfertigungen für eine gewisse Ausnahmestellung des Menschen. Die verbale Spur ist mit für die erzählerische Ader des menschlichen Geistes verantwortlich, und für die meisten von uns dürfte sie sicher ihr wichtigster Organisator sein. Heute erzählen wir sowohl in nonverbaler, quasi filmischer Weise als auch mit Worten unaufhörlich Geschichten und Bruchstücke von Geschichten. Wir erzählen sie ununterbrochen ganz privat uns selbst und auch anderen. Durch solche Erzählungen schwingen wir uns sogar zu neuen Bedeutungsinhalten auf, die höher angesiedelt sind als die der Einzelbestandteile einer Geschichte.

A: Was sind die anderen Komponenten des bewussten Geistes?

R: Nun, wie sich herausstellt, sind sie die Bilder des Organismus selbst. Eine solche Gruppe besteht aus Bildern der alten Innenwelt, der Welt Chemie und Organe, die Gefühle unterstützt; das sind die mit Wertigkeit versehenen Bilder, die für jeden Geist so charakteristisch sind. Einen wichtigen Beitrag zum bewussten Geist leisten die Gefühle, die ihren Ursprung in dem homöostatischen (das Gleichgewicht der physiologischen Körperfunktionen eines Organismus) Hintergrundzustand haben, aber auch in den vielen emotiven, nämlich Emotionen erhaltenden Reaktionen, die gerade durch die Bilder der Aussenwelt erzeugt werden. Sie liefern das Qualia-Element, das in den traditionellen Diskussionen über das Bewusstsein immer wieder vorkommt. Und schliesslich gibt es Bilder aus der neuen Innenwelt, der Welt des Muskel-Skelett-Gerüsts und seiner Sinnesportale. Die Bilder des Skelettgerüstes bilden einen Phantomkörper, auf dem alle anderen Bilder angeordnet und festgeklopft werden können. Das Ergebnis aller dieser koordinierten Bilderzeugungsprozesse ist nicht nur ein grosses Schauspiel, eine Symphonie oder ein Film. Es ist eine gewaltige Multimediashow. Wie stark diese Komponenten des Geistes unser mentales Leben beherrschen, das heisst inwieweit sie die Aufmerksamkeit beanspruchen, hängt von zahlreichen Faktoren ab: von Alter, Temperament, Kultur, Gelegenheit und Denkweise. Wir neigen alle dazu, den Aspekten der Aussenwelt oder der Welt der Affekte mehr oder weniger Gewicht beizumessen.

A: Würdest du bitte die Qualia beschreiben?

R: Es gibt keine bewussten Bilder irgendeines Typs, die nicht von einem ergebenen Chor aus Emotionen und den nachfolgenden Gefühlen begleitet wären. Wenn ich auf den Zürichsee blicke, der in seinen Morgenanzug gekleidet ist und von einem weichen, grauen Himmel beschützt wird, dann sehe ich die majestätische Schönheit nicht nur, sondern ich empfinde ihr gegenüber auch etwas und spüre eine ganze Reihe physiologischer Veränderungen, die sich jetzt in einen ruhigen Zustand des Wohlbefindens verwandeln. Das geschieht nicht durch meinen Willen, und die Gefühle zu verhindern, steht ebenso wenig in meiner Macht, wie ich die Möglichkeit habe, sie in Gang zu setzen. Sie sind da, und sie werden in dieser oder jener Ausprägung bei mir bleiben, solange das gleiche Objekt bewusst in meinem Blickfeld bleibt und solange meine Gedanken darin eine Art Widerhall finden.

A: Informative Beschreibung! Erzähle bitte weiter!

R: Ich stelle mir die Qualia als Musik vor, als Partitur, die den übrigen gerade ablaufenden geistigen Prozess begleitet, wobei mir aber auffällt, dass die Aufführung auch innerhalb des geistigen Prozesses stattfindet. Wenn nicht der Zürichsee, sondern tatsächlich ein Musikstück das wichtigste Objekt meines Bewusstseins ist, läuft die Musik in meinem Geist zweispurig ab: einerseits das Stück von Bach, das gerade gespielt wird, und anderseits eine musikähnliche Spur, mit der ich in der Sprache von Emotionen und Gefühlen auf die tatsächliche Musik reagiere. Diese ist nichts anders als die Qualia für eine Musikaufführung – man könnte sie als Musik über Musik bezeichnen.

A: Es ist erstaunlich, wie sich die Qualia herauskristallisieren!

R: Der Begriff, nämlich die Qualia, bezeichnet die Gefühle, die ein unverzichtbarer Teil jedes subjektiven Erlebnisses sind, beispielweise der Klang eines Cellos, der Geschmack von Wein oder die Bläue des Meeres, dasjenige Erlebnis, das in unserem Geist eine bestimmte Sinnesqualität erhält. Die Qualia sind persönliche Empfindungsfähigkeiten. Sie sind die Grundgefühle, die Elemente, aus denen jedes bewusste Erlebnis besteht.

A: Danke für deine ausführliche Darstellung. Jetzt habe ich eine Frage!

R: Was ist deine Frage?

A: Ist unser Bewusstsein immer wach?

R: Bewusstsein und Wachzustand sind nicht das Gleiche. Wachsein ist eine Voraussetzung für das normale Bewusstsein. Wenn man auf natürliche Weise einschläft oder durch eine Narkose zum Schlafen gezwungen wird, verschwindet das Bewusstsein in seiner üblichen Form. Eine Ausnahme ist der besondere Bewusstseinszustand, der Träume begleitet, aber er steht nicht wirklich im Widerspruch zu der Voraussetzung des Wachzustands, denn das Traum-Bewusstsein unterscheidet sich vom normalen Bewusstsein.

A: Was sehen wir, wenn «das Licht» plötzlich oder allmählich eingeschaltet wird?

R: In den meisten Fällen etwas, das wir in der Regel als «Gedanken» oder «geistige Inhalte» bezeichnen.

A: Und aus was bestehen die Gedanken, die uns auf diese Weise offenbart werden?

R: Aus Mustern, die in der Sprache der verschiedenen Sinne kartiert sind – visuell, akustisch, taktil, proprio-rezeptiv und so weiter. Und das alles in fantastischen Schattierungen, Tönen, Variationen und Kombinationen, die geordnet oder chaotisch dahinfliessen – kurz gesagt: Bilder. Hier müssen wir daran erinnern, dass Bilder die wichtigste Währung unseres Geistes sind und dass der Begriff Muster alle sensorischen Formen bezeichnet, nicht nur visuelle Muster und nicht nur konkrete, sondern auch abstrakte.

A: Was geschieht, wenn das Bewusstsein verloren geht?

R: Wenn ich das Bewusstsein verliere, weil ich mit dem Kopf gegen einen harten Gegenstand geschlagen bin, erlebe ich ebenfalls einen segensreich kurzen, aber messbaren Zeitraum, bis ich wieder «zu mir komme». Nebenbei bemerkt, ist «zu sich kommen» nur eine verkürzte Form von «zu Bewusstsein kommen», also zu einem selbst-orientierten Geist zurückzukehren; es klingt zwar wie eine schlichte Redensart, trifft den Kern der Sache aber recht gut. In der Neurologie spricht man von einer Erholungszeit, bis man nach einer Verletzung ohne offene Kopfwunde das Bewusstsein wiedererlangt; in dieser Zeit ist die betroffene Person räumlich und zeitlich nicht vollständig orientiert, und erst recht nicht im Hinblick auf Personen.

A: Gibt es verschiedene Arten des Bewusstseins?

R: Bewusstsein ist wandelbar. Unterhalb einer gewissen Schwelle arbeitet es nicht, und auf einem bestimmten Niveau ist seine Tätigkeit besonders effizient. Bezeichnen wir diese Spanne einmal als «Intensitätsskala» des Bewusstseins, und betrachten wir Beispiele für ihre verschiedenen Ebenen. In manchen Augenblicken fühlen wir uns schläfrig und stehen dicht davor, in Morpheus` Arme zu sinken, in anderen beteiligen wir uns an einer hitzigen Diskussion, die grösste Aufmerksamkeit für die neu auftauchenden Details erfordert. Die Intensitätsskala reicht von dumpf bis scharf mit allen dazwischenliegenden Abstufungen.

A: Möchtest du ein Glas Wasser?

R: Gerne, ich habe Durst!

A: Ich schenke dir Wasser ein!

R: Ich danke dir!

A: Würdest du bitte weitererzählen!

R: Sicher! Und neben der Intensität gibt es aber noch ein anderes Kriterium, mit dem wir das Bewusstsein einteilen können. Es hat mit der Reichweite zu tun. Eine minimale Reichweite lässt uns das Selbst spüren, wenn wir beispielweise zu Hause eine Tasse Kaffee trinken, ohne dass wir uns über die Herkunft der Tasse oder des Kaffees Gedanken machen oder darüber, wie er sich auf den Puls auswirken wird oder was wir heute sonst noch tun müssen. In diesem Augenblick sind wir ganz ruhig, einfach nur im Hier und Jetzt. Nun nehmen wir an, wir sitzen mit einer ähnlichen Tasse Kaffee in einem Restaurant. Wir wollen uns dort mit unserem Bruder treffen, um über das Erbe der Eltern zu sprechen und zu diskutieren, was wir mit unserer Halbschwester anfangen, die sich so benommen hat. In diesem Augenblick sind wir ebenfalls sehr präsent, aber wir begeben uns im Geist nacheinander an viele andere Orte, treffen ausser unserem Bruder noch viele andere Menschen und befinden uns in Situationen, die wir nicht erlebt haben, sondern die Produkte unserer gut informierten, reichhaltigen Vorstellungskraft sind.

A: Möchtest du noch einen Kaffee?

R: Sehr gerne!

A: Ich bereite den Kaffee zu und höre dir gerne zu!

R: Eben, unser bisheriges Leben wird sehr schnell, Stück für Stück aus der Erinnerung zurückgerufen, und Stück für Stück wird auch unser zukünftiges Leben, wie wir es uns jetzt oder früher ausgemalt haben, gegenwärtig. Wir sind überall, in vielen vergangenen und zukünftigen Epochen unseres Lebens, beschäftigt. Dennoch gerät das Ich in uns nie ausser Sicht. Alle diese Inhalte sind unauflöslich an einen einzigen Bezugspunkt gebunden. Selbst wenn wir uns auf ein weit entferntes Ereignis konzentrieren, bleibt die Verbindung bestehen. Das Zentrum ist fest. Das ist Bewusstsein mit grosser Reichweite, eine der grossartigen Errungenschaften des menschlichen Gehirns und ein definierendes Merkmal des Menschseins. Solche Gehirnprozesse haben uns dahin geführt, wo wir heute – in Freud und Leid – mit unserer Zivilisation stehen. Es ist die Art von Bewusstsein, die in Romanen, Filmen und Musik deutlich wird und die Philosophen mit ihren Überlegungen feiern.

A: Der Kaffee ist bereit und ich schenke uns den Kaffee ein!

R: Der Kaffee ist anders, was ist das für ein Kaffee?

A: Ich habe zwei Teelöffel vom Kakaopulver dem Kaffee hinzugefügt!

R: Er schmeckt gut, danke!

A: Keine Ursache!

R: Also, ich gebe diesen beiden Formen des Bewusstseins eigene Namen. Den Typen mit der minimalen Reichweite nenne ich Kernbewusstsein: Es ist das Gespür für das Hier und Jetzt, das kaum durch Vergangenheit und fast gar nicht durch Zukunft belastet ist. Es dreht sich um ein Kern-Selbst, und es geht dabei um das Personsein, aber nicht unbedingt um Identität. Die Form mit der grossen Reichweite bezeichne ich als erweitertes oder autobiografisches Bewusstsein, denn es findet seinen stärksten Ausdruck, wenn ein nennenswerter Teil des eigenen Lebens ins Spiel kommt und wenn sowohl die durchlebte Vergangenheit als auch die vorweggenommene Zukunft in seinem Ablauf dominieren. Hier geht es sowohl um Personsein als auch um Identität. Die Leitung hat dabei ein autobiografisches Selbst. Und wenn wir an das Bewusstsein denken, meinen wir in den meisten Fällen jenes Bewusstsein mit grosser Reichweite, das mit einem autobiografischen Selbst einhergeht.

A: Hast du noch Wünsche?

R: Ja, ich möchte eine Pause einlegen, ferner habe ich Hunger. Ich bereite eine Mahlzeit zu, lass dich von mir bedienen. Ich rufe dich, sobald das Essen auf dem Tisch steht!

A: Perfekt, bist später!

R: Bis dann!

 

 

 

Quellen

Blackmore, Susan. Gespräche über Bewusstsein. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2007.

Damasio, Antonio. Im Anfang war das Gefühl. München: Siedler, 2017.

Damasio, Antonio. Selbst ist der Mensch. München: Siedler, 2013.

Damasio, Antonio. Ich fühle, also bin ich. Berlin: Ullstein, 2013.

Görnitz, Thomas & Görnitz, Brigitte. Von der Quantenphysik zum Bewusstsein. Berlin Heidelberg: Springer, 2016.

Greene, Brian. Bis zum Ende der Zeit. München: Siedler, 2020.

Tegmark, Max. LEBEN 3.0. Berlin: Ullstein, 2017.

Tegmark, Max. Unser mathematisches Universum. Berlin: Ullstein, 2014.