GFK – Bitten

A: Guten Morgen!

R: Guten Morgen, hast du gut geschlafen?

A: Ja, ich habe ruhig und tief schlafen können!

R: Möchtest du schon einen Tee?

A: Sehr gerne!

R: Ich schenke dir einen Tee ein!

A: Danke. Besprechen wir heute wieder die gewaltfreie Kommunikation?

R: Sicher, wir beschliessen heute das Thema. Bis jetzt haben wir uns mit den ersten drei Komponenten der gewaltfreien Kommunikation beschäftigt, mit dem, was wir beobachten, fühlen und brauchen. Wir haben gelernt, all das ohne zu kritisieren, zu beschuldigen, zu analysieren oder zu diagnostizieren so anzuwenden, dass andere zur Einfühlsamkeit inspiriert werden. Die vierte und letzte Komponente des Modells widmet sich der Frage, um was wir andere bitten möchten, damit sich unsere Lebensqualität verbessert. Wenn sich unsere Bedürfnisse nicht erfüllen, dann lassen wir auf unsere Beobachtungen, Gefühle und Bedürfnisse eine konkrete Bitte folgen. Wir bitten um Handlungen, die unsere Bedürfnisse erfüllen können.

A: Wie können wir nun unsere Bitten so formulieren, dass bei anderen die Bereitschaft steigt, einfühlsam auf unsere Bedürfnisse zu reagieren?

R: Ein wichtiger Aspekt des Formulierens von Bitten in der gewaltfreien Kommunikation besteht darin, sich des Unterschiedes zwischen Bitten und Forderungen bewusst zu sein. Wenn andere Menschen unsere Bitten als Forderung hören, glauben sie, sie würden beschuldigt oder bestraft, falls sie nicht «ja» dazu sagen. Wenn sie eine Bitte als Forderung hören, sehen sie nur die Alternativen nämlich Unterwerfung oder Rebellion. In diesem Fall haben sie das Gefühl, dass wir Zwang ausüben, und wahrscheinlich reagieren sie nicht einfühlsam auf das, worum wir gebeten haben.

A: Der Tee hat mir gefallen. Erzähle weiter!

R: Der Unterschied zwischen einer Bitte und einer Forderung besteht nicht darin, wie höflich wir die betreffende Botschaft formulieren. Als Erstes sprechen wir aus, um was wir bitten, statt zu sagen, um was wir nicht bitten. Das heisst: Bitten in klarer, positiver, konkreter Handlungssprache auszudrücken also formulieren.

A: Definiere eine handlungssprachliche Formulierung?

R: Wir wohnen zusammen. Jetzt kannst du dir vorstellen, ich bin in der Küche und du siehst gerade im Wohnzimmer fern und es läuft deine Lieblingssendung. Just in dem Moment rufst du: «Ich habe Durst». In diesem Fall liegt es auf der Hand, dass du mich höchstwahrscheinlich darum bittest, dir ein Glas Wasser aus der Küche zu bringen. Manchmal ist es sicher möglich, eine klare Bitte zu vermitteln, ohne sie in Worte zu fassen. In der gewaltfreien Kommunikation werden Bitten, die nicht von den Gefühlen und Bedürfnissen des Bittenden begleitet sind, wie eine Forderung klingen. Ein Vater sagt seinem Jungen: «Warum lässt du dir nicht mal wieder die Haare schneiden?» Die Formulierung des Vaters wird von seinem Jungen leicht als Forderung oder Angriff verstanden. Es sei denn, der Vater denkt daran, zuerst seine eigenen Gefühle und Bedürfnisse offenzulegen. «Ich mache mir grosse Sorgen, da deine Haare so lang gewachsen sind und wenn du mit dem Fahrrad fährst, kannst du nicht mehr richtig sehen, was um dich herum geschieht. Was hältst du von einem Haarschnitt?»

A: Ich habe Lust auf einen Tee und werde Welchen kochen. Erzähle weiter, ich höre dir zu!

R: Eine Frau sagt zum Beispiel zu ihrem Mann: «Ich will nicht, dass du so viel arbeitest.» Ist diese Aussage eine Bitte?

A: Ich weiss es nicht!

R: Die Aussage der Frau ist keine konkrete Bitte. Vielen Menschen fällt es schwer konkrete Bitten zu äussern. Man muss sich in dem Moment bewusst darüber sein, was man eigentlich genau will. Dieser vierte Schritt und zwar die Bitte ist sehr wichtig, denn um etwas ganz Einfaches zu bitten, kann die Welt verändern. Und es macht vielen Menschen Angst, danach zu fragen, was sie jetzt, in diesem Moment wollen. Es bedeutet, Verantwortung zu übernehmen und die Welt zu kreieren, in der man leben will.

A: Wie könnte denn die konkrete Bitte der Frau lauten? Sie möchte, dass ihr Mann nicht so viel arbeitet!

R: Die Frau könnte ihre Bitte so formulieren: «Ich möchte gerne, dass du mir sagst, ob du bereit bist, einen Abend in der Woche mit mir zu verbringen und einen mit den Kindern.»

A: Der Tee ist bereit, ich schenke dir und mir eine Tasse frischen Tee ein!

R: Danke für den Tee. Je klarer wir wissen, was wir vom anderen bekommen möchten, desto wahrscheinlicher ist es, dass sich unsere Bedürfnisse erfüllen werden.

A: Wie können wir uns sicher sein, dass die Botschaft, die wir aussenden, identisch ist mit der Botschaft, die empfangen wird?

R: Wir bitten um Offenheit. Wir können unser Gesprächspartner/ unsere Gesprächspartnerin darum bitten, uns in seinen/ihren eigenen Worten wiederzugeben, was er/sie uns hat sagen hören. Dies gibt uns die Möglichkeit, Teile unserer Aussage zu wiederholen, um auf Diskrepanzen oder Auslassungen, die uns in der Wiedergabe aufgefallen sind, zu reagieren. In der gewaltfreien Kommunikation drücken wir uns ehrlich und aufrichtig aus und natürlich möchten wir gerne die Reaktion des anderen auf das, was wir gesagt haben, zu erfahren:

Manchmal möchten wir die Gefühle, die durch unsere Worte ausgelöst wurden, erfahren und auch die Gründe für diese Gefühle. Danach können wir z. B. so fragen: «Ich möchte dich bitten, mir zu sagen, wie du das, was ich gerade gesagt habe, empfindest, und auch deine Gründe für diese Gefühle».

Manchmal möchten wir etwas über die Gedanken unserer Zuhörer zu dem, was sie uns haben sagen hören, erfahren. Da ist es dann wichtig klarzumachen, welche Gedanken wir von ihnen hören möchten. Statt einfach zu sagen: «Sag mir doch bitte, was du über meine Worte denkst», Wir können z. B. sagen: «Kannst du mir bitte sagen, ob du glaubst, dass mein Vorschlag Erfolg haben wird, und falls du nicht an seinen Erfolg glaubst, woran er deiner Meinung nach scheitern könnte?» Wenn wir nicht deutlich machen, welche Ansichten wir genau hören möchten, dann antwortet der andere vielleicht ausführlich mit Gedanken, die uns in dem Augenblick nicht weiterhelfen.

Manchmal möchten wir gerne wissen, ob die andere Person bereit ist, etwas zu tun, was wir ihr empfohlen haben. Eine solche Bitte kann sich z. B. so anhören: «Ich möchte dich bitten, mir zu sagen, ob du bereit bist, unser Treffen um eine Woche zu verschieben.»

A: Wie findest du den Tee?

R: Der Tee hat mir geschmeckt. Würdest du bitte noch Einen zubereiten?

A: Sicher, das mache ich!

R: Die Anwendung der GFK setzt voraus, dass wir uns über die jeweilige Art der ehrlichen Auskunft, die wir bekommen möchten, im Klaren sind und dass wir die entsprechende Bitte um Offenheit sprachlich konkret formulieren. Nachdem wir uns offen ausgedrückt haben, möchten wir gerne wissen, 1) was der Zuhörer/ die Zuhörerin dabei empfindet, 2) was der Zuhörer /die Zuhörerin darüber denkt oder 3) ob der Zuhörer /die Zuhörerin bereit ist etwas Bestimmtes zu unternehmen.

A: Dein Tee ist bereit, ich stelle ihn auf den Tisch.

R: Ich danke dir! Was für ein Tee ist es?

A: Das ist ein Orangenblütentee!

R: Der schmeckt gut!

A: Übung macht den Meister. Was meinst du, können wir beginnen?

R: Auf jeden Falls. Ich fange mit dem ersten Satz an: «Ich möchte, dass du dich respektvoll verhältst.»

A: Meiner Meinung nach drückt die Formulierung «respektvoll verhalten» nicht klar eine machbare Handlung aus. Der Sprecher hätte stattdessen sagen können: «Ich möchte, dass du meine Frage beantwortest oder mir sagst, welches deiner Bedürfnisse dich daran hindert, dies zu tun.»

R: Der nächste Satz: «Ich möchte, dass du aufmerksam bist, wenn ich spreche.»

A: Meiner Meinung nach drückt die Formulierung «aufmerksam sein» keine klare machbare Handlung aus. Die Sprecherin hätte sagen können: «, Wenn ich mit meiner momentanen Äusserung zum Ende gekommen bin, möchte ich, dass du mir sagst, was du gehört hast.»

R: Noch ein Satz: «Ich möchte, dass du mir sagst, welche Ziele ich deiner Ansicht nach mit diesem Projekt verfolge.»

A: Diese Aussage bringt klar zum Ausdruck, worum der Sprecher bittet.

R: Der Satz: «Ich möchte, dass du mich verstehst».

A: Mit dem Wort «verstehst» wird nicht eindeutig um eine machbare Handlung gebeten. Die Sprecherin hätte stattdessen sagen können: «Ich möchte dich bitten, mir zu erzählen, was du mich hast sagen hören.»

R: Der Satz: «Bitte nenne mir eine Sache, die ich gemacht habe und die du schätzt.»

A: Die Bitte des Sprechers wurde in einer eindeutigen und machbaren Handlung ausgedrückt.

R: Der Satz: «Ich hätte gerne, dass du mehr Selbstvertrauen hast.»

A: Mit den Worten «mehr Selbstvertrauen haben» wird nicht eindeutig um eine machbare Handlung gebeten. Die Sprecherin hätte stattdessen sagen können: «Ich möchte gerne, dass du einen Kurs in Selbstvertrauen machst, weil ich glaube, dass damit dein Selbstvertrauen gestärkt wird.»

R: Noch ein Satz: «Hör bitte mit dem Trinken auf.»

A: Die Worte «mit dem Trinken aufhören» bitten nicht eindeutig um eine machbare Handlung. Der Sprecher hätte stattdessen sagen können: «Ich möchte dich bitten, mir zu sagen, welche deiner Bedürfnisse durch das Trinken erfüllt werden, und mit mir zu besprechen, welche Möglichkeiten es noch gibt, diese Bedürfnisse zu erfüllen.»

R: Der Satz: «Ich möchte gerne, dass man mich ich selbst sein lässt.»

A: Mit den Worten «mich ich selbst sein lässt» wird nicht eindeutig um eine machbare Handlung gebeten. Die Sprecherin hätte stattdessen sagen können: «Ich möchte gerne von dir hören, dass du mich nicht verlässt – auch wenn ich ein paar Dinge tue, die dir nicht gefallen.»

R: … Satz: «Sei bitte ehrlich zu mir über das Meeting gestern.»

A: Mit den Worten «ehrlich zu mir sein» wird nicht eindeutig um eine machbare Handlung gebeten. Der Sprecher hätte stattdessen sagen können: «Bitte sage mir, welche meiner Aussagen dir nicht gefallen haben und was ich genau deine Meinung nach hätte anders machen können».

R: … Satz: «Ich hätte gerne, dass du nicht schneller als erlaubt fährst.»

A: Die Bitte der Sprecherin wurde in einer eindeutigen und machbaren Handlung ausgedrückt.

R: … Satz: «Ich möchte dich besser kennenlernen.»

A: Für mich wird in diesem Satz nicht eindeutig um eine machbare Handlung gebeten. Der Sprecher hätte stattdessen sagen können: «Sag mir bitte, ob du Lust hast, einmal die Woche mit mir zum Mittagessen zu gehen.»

R: … Satz: «Bitte respektiere meine Privatsphäre».

A: Mit den Worten «meine Privatsphäre respektieren» wird nicht eindeutig um eine machbare Handlung gebeten. Die Sprecherin hätte stattdessen sagen können: «Ich möchte gerne deine Zustimmung dazu, dass du an meine Tür klopfst, bevor du in mein Büro kommst.»

R: Und der letzte Satz: «Ich hätte gerne, dass du öfter das Abendessen machst.»

A: Mit dem Wort «öfter» wird nicht eindeutig um eine machbare Handlung gebeten. Der Sprecher hätte stattdessen sagen können: «Ich hätte gerne, dass du montags immer das Abendessen machst.»

R: Die vierte Komponente der GFK beschäftigt sich mit der Frage, um was wir einander bitten möchten, damit sich die Lebensqualität eines jeden Einzelnen verbessert. Wir versuchen vage, abstrakte oder zweideutige Formulierungen zu vermeiden, und denken daran, die positive Handlungssprache zu benutzen, indem wir statt dem, was wir nicht wollen, das ausdrücken, was wir wollen.

A: Möchtest du noch einen Tee?

R: Sehr gerne!

A: Ich werde mich um den Tee kümmern. Erzähle weiter!

R: Je klarer wir uns beim Sprechen über die Art der Resonanz sind, die wir als Rückmeldung haben möchten, desto wahrscheinlicher ist es, dass wir sie auch bekommen werden. Da die Botschaft, die wir aussenden, nicht unbedingt dem entspricht, was aufgenommen wird, ist es nötig zu lernen, wie wir herausfinden können, ob unsere Botschaft präzise gehört wurde.

A: Ich stelle deinen Tee auf den Tisch!

R: Danke. Bitten werden als Forderungen aufgefasst, wenn der Zuhörer/ die Zuhörerin glaubt, dass er/sie beschuldigt oder bestraft wird, sobald er/sie nicht zustimmt. Wir können andere darin unterstützen, uns zu vertrauen, dass wir bitten und nicht fordern, indem wir deutlich machen, dass wir uns ihre Zustimmung nur wünschen, wenn sie aus freiem Willen gegeben wird. Das Ziel der GFK ist es nicht, Menschen und ihr Verhalten zu ändern, damit wir unseren Willen durchsetzen; es besteht vielmehr darin, Beziehungen aufzubauen, die auf Offenheit und Einfühlsamkeit basieren, sodass sich über kurz oder lang die Bedürfnisse eines jeden Einzelnen erfüllen.

A: In der vierten Komponente der gewaltfreien Kommunikation geht es um die Bitte konkreter Handlungen, von denen wir uns wünschen, dass sie geschehen.

R: Du hast es verstanden, prima.

 

 

 

 

 

Quellen

Rosenberg, Marshall B. Gewaltfreie Kommunikation. Paderborn: Junfermann, 2016.

Rosenberg, Marshall B. Erziehung, die das Leben bereichert. Paderborn: Junfermann, 2007.

Rosenberg, Marshall B. Konflikte lösen durch Gewaltfreier Kommunikation. Freiburg im Breisgau: Herder, 2012.