Der Stoff, aus dem unser Verstand entsteht / Bewusstsein III

A: Möchtest du einen Kaffee?

R: Ja, gerne!

A: Ich schenke uns Kaffee ein. Milch sowie Zucker sind schon auf dem Tisch und ich setze mich neben dir hin.

R: Der Kaffee riecht wie immer gut und er schmeckt mir. Ich danke dir!

A: Wir sitzen zusammen in der Küche, und während wir uns unterhalten, beobachtest du, wie ich die Tasse in die Hand nehme und einen Schluck trinke. Diese Handlung ist so normal, dass sie nicht der Rede wert ist, es sei denn, ich kleckere dabei Kaffee auf mein Hemd. Ich nehme lediglich wahr, ob der Kaffee in meinen Mund gelangt oder nicht. Wenn alles glatt läuft, bemerke ich vielleicht nicht einmal, dass ich die Handlung ausgeführt habe. Wir spüren nicht, dass eine Tasse an den Mund zu führen keine einfache Aufgabe ist. In der Tat muss unser Gehirn Abermillionen elektrischer Impulse koordinieren, um diese vermeintlich einfache Handlung zu bewerkstelligen. Interessanterweise bekommt unser Bewusstsein davon nichts mit: Wir wissen nur, ob der Kaffee im Mund ankommt oder nicht.

R: Bewusstsein ist in der Tat der Schlüssel zum besichtigten Leben – ob wir es wollen oder nicht –, unsere Lizenz, alles in Erfahrung zu bringen, was ins uns vorgeht – den Hunger und den Durst, die Sexualität, die Tränen, das Lachen, die Hochs und Tiefs, den Strom der Vorstellung, den wir Denken nennen, die Gefühle, die Wörter, die Geschichten, die Überzeugungen, die Musik und die Poesie, das Glück und den Überschwang. Auf seiner einfachsten und grundlegendsten Ebene vermittelt uns das Bewusstsein den unwiderstehlichen Drang, am Leben zu bleiben und ein Interesse am Selbst zu entwickeln. Auf einer sehr hohen und komplexen Ebene hilft uns das Bewusstsein, Interesse am Selbst anderer zu entwickeln und die Kunst des Lebens zu verfeinern.

A: Das heisst: Es gibt einen Selbst-Sinn, der eine Komponente des Bewusstseins ist!

R: Sicher! Bewusstsein ist ein rein privates Phänomen, das ganz auf die Perspektive der ersten Person beschränkt bleibt, auf jenen privaten Prozess, den wir Geist nennen.

A: Würdest du bitte den Geist anhand einiger Sätze schildern?

R: Der Begriff «Geist» umfasst sowohl bewusste als auch nichtbewusste Operationen. Er bezeichnet einen Prozess, keine Sache. Der Ausschnitt des Geistes, den wir dank des Bewusstseins kennen, ist ein ständiger Fluss von mentalen Mustern, die vielfach in logischer Wechselbeziehung stehen. Schnell oder langsam, stetig oder sprunghaft bewegt sich der Fluss in der Zeit voran, gelegentlich nicht nur mit einem, sondern mit mehreren Strängen gleichzeitig. Unter Geist verstehen wir die Fähigkeit zu denken, zu planen und sich zu erinnern. Der Geist ist im Wesentlichen die Menge mentaler Zustände, die uns allen vertraut sind, zum Beispiel von Wahrnehmungen, Emotionen, Meinungen, Absichten und Wünschen. Der Geist ist ein informationsverarbeitendes System.

A: Danke für die Beschreibung, bitte erzähle weiter!

R: Bewusstsein und Geist sind jedoch eng an äussere Verhaltensweisen geknüpft, die sich aus der Perspektive der dritten Person beobachten lassen. Wir haben alle teil an diesen Phänomenen – dem Geist, dem Bewusstsein im Geist und dem Verhalten – und wir wissen genau, wie sie miteinander verknüpft sind, erstens dank unserer Selbstbeobachtung und zweitens dank unserer natürlichen Neigung, andere zu beobachten. Sowohl unser natürliches Wissen als auch die Wissenschaft vom menschlichen Geist und Verhalten beruhen auf dieser unbestreitbaren Beziehung zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen – Erste – Person – Geist auf der einen Seite und Dritte – Person – Verhalten auf der anderen.

A: Möchtest du noch einen Kaffee?

R: Sehr gerne!

A: Dann bereite ich den Kaffee zu und höre dir zu!

R: Dank unseres Bewusstseins können wir nicht nur die Gegenwart erleben, sondern uns auch etwas Abwesendes vorstellen. Aufgrund dieses Bewusstseins können wir in Erinnerungen schwelgen und uns unsere Zukunft ausmalen. Nicht nur irgendeine «Vergangenheit» oder irgendeine «Zukunft», sondern Dinge, die wir in unserer ganz persönlichen Vergangenheit erlebt haben und in unserer Zukunft vielleicht erleben werden. Sich die eigene mögliche Zukunft vorzustellen, ist eine besonders wichtige Fähigkeit. So können wir die Überlebensoptionen unserer Art ausbauen, die uns durch natürliche Selektion und/oder durch zielgerichtetes instrumentelles Lernen eines Individuums zuteil wurden – und die beide auf Strategien beruhen, die in der Vergangenheit erfolgreich waren. An die Zukunft des eigenen Selbst zu denken, fällt dem Menschen leicht, sich seines Selbst als Akteur dieser Voraussagen und zugleich als Gegenstand dieser Überlegungen bewusst zu sein.

R: Der Kaffee ist bereit, ich schenke uns zwei Tassen gefüllt mit frischem Kaffee ein!

A: Ich danke dir!

A: Zuletzt haben wir uns über die Subjektivität unterhalten!

R: Philosophen argumentieren seit Langem, dass bewussten Erfahrungen eine gewisse subjektive Qualität innewohnt. Um das zu unterstreichen, wird häufig der Fachbegriff «phänomenales Bewusstsein» eingesetzt. Dieser ist notwendig, da der Begriff «Bewusstsein» mehrere Bedeutungen hat. Wie wir wissen, unterscheidet man damit unter anderem Zustände, in denen man wach, aufmerksam und in der Lage ist, angemessen auf Reize zu reagieren, von Zuständen, in denen man schläft, betäubt ist oder im Koma liegt. Einige Forscher benutzen den Begriff «Bewusstsein» im Sinne des phänomenalen Bewusstseins und in der Annahme, dass Bewusstsein ein Produkt unseres Gehirns ist.

A: Worüber diskutieren wir jetzt?

R: Eigentlich setzt uns das Bewusstsein in die Lage, eine Emotion, das Fühlen dieser Emotion und das Erkennen, dass wir ein Gefühl dieser Emotion haben, zu verstehen, sozusagen zu empfangen. Gefühle waren und sind der Anfang eines Abenteuers namens Bewusstsein. Ferner ist das Gefühl die zweite Zutat der Subjektivität. Diese sind die jetzigen Themen, die wir näher beleuchten!

A: Was sind die Emotionen?

R: Emotionen sind komplexe, grösstenteils automatisch ablaufende, von der Evolution gestaltete Programme für Handlungen. Ergänzt werden diese Handlungen durch ein kognitives Programm, zu dem bestimmte Gedanken und Kognitionsformen gehören; die Welt der Emotionen besteht aber vorwiegend aus Vorgängen, die in unserem Körper ablaufen, von Gesichtsausdruck und Körperhaltung bis zu Veränderungen in inneren Organen und innerem Milieu. Eine Emotion findet nämlich innerhalb und nicht ausserhalb des Organismus statt. Emotionen sind Sammlungen gemeinsam auftretender, unwillkürlicher innerer Abläufe (zum Beispiel Kontraktion der glatten Muskulatur, Veränderungen der Herzfrequenz, Atmung, Hormonausschüttung, Gesichtsausdrücke, Körperhaltung), die durch Wahrnehmungsereignisse ausgelöst werden. Die emotionsbedingten Tätigkeiten zielen in der Regel darauf ab, die Homöostase zu unterstützen und beispielweise Bedrohungen mit Angst oder Wut entgegenzuwirken oder erfolgreiche Zustände durch Freude zu signalisieren. Auch wenn wir uns an Ereignisse erinnern, produzieren wir Emotionen.

A: Wie werden Emotionen ausgelöst?

R: Ganz einfach: durch Bilder von Objekten oder Ereignissen, die sich in diesem Augenblick abspielen oder die sich in der Vergangenheit abgespielt haben und nun erinnert werden. Für den emotionalen Apparat ist es von grosser Bedeutung, in welcher Situation man sich befindet. Vielleicht durchleben wir gerade eine reale Szene und reagieren auf eine Musikaufführung oder auf die Gegenwart eines Freundes; oder aber wir sind allein und erinnern uns an ein Gespräch, über das wir uns gestern geärgert haben. Ob die Bilder «live» sind, aus dem Gedächtnis rekonstruiert oder aus dem Nichts in der Fantasie erschaffen werden, sie setzen eine Kette von Ereignissen in Gang. Signale aus den verarbeiteten Bildern werden verschiedenen Gehirnregionen zugänglich gemacht. Manche dieser Regionen wirken an der Sprache mit, andere an Bewegungen, wieder andere an Vorgängen, die das vernünftige Denken ausmachen. Aktivität in einer dieser Regionen führt zu verschiedenen Reaktionen: etwa zu Worten, mit denen man einen Gegenstand benennt, oder zum schnellen Abruf anderer Bilder, mit deren Hilfe wir Rückschlüsse über ein Objekt ziehen und so weiter.

A: Was sind die Gefühle?

R: Gefühle sind interaktive Wahrnehmungen. Sie sind informativ, sie tragen wichtige Kenntnisse und pflanzen dieses Wissen fest in den Strom des Geistes ein. Gefühle sind mentale Erlebnisse, die auf verschiedene Zustände der Homöostase im Organismus folgen und sie begleiten, ob sie nun primärer Natur sind (homöostatische oder urtümliche Gefühle wie Hunger und Durst, Schmerzen oder Lust) oder durch Emotionen ausgelöst werden (emotionale oder reife Gefühle wie Angst, Wut und Freude). Gefühle sind definitionsgemäss bewusst – wären sie es nicht, hätten wir keine unmittelbare Kenntnis von ihnen. Dennoch Gefühle unterscheiden sich in mehreren Punkten von anderen mentalen Erlebnissen. Erstens hat ihr Inhalt immer mit dem Körper des Lebewesens zu tun, in dem sie auftauchen. Gefühle spiegeln das Innere des Organismus – den Zustand der inneren Organe und die inneren Abläufe wider, und wie wir bereits wissen, entstehen Bilder des Inneren unter anderen Bedingungen als solche, die die Aussenwelt abbilden. Zweitens ist die Wiedergabe des Inneren, das heisst das Erlebnis des Gefühls, aufgrund dieser besonderen Bedingungen mit einem bestimmten Merkmal durchtränkt, nämlich der Wertigkeit.

A: Was ist Wertigkeit eines Gefühls?

R: Die Wertigkeit ist die Qualität. Sie übersetzt den Lebenszustand unmittelbar von Augenblick zu Augenblick in mentale Begriffe. Sie macht zwangsläufig deutlich, ob der Zustand gut oder schlecht ist oder irgendwo dazwischensteht. Wenn wir einen Zustand erleben, der die Fortsetzung des Lebens begünstigt, beschreiben wir ihn mit positiven Begriffen und bezeichnen ihn beispielweise als angenehm; ist dies nicht der Fall, ordnen wir dem Erlebnis negative Begriffe zu und sprechen beispielweise von Unwohlsein. Die Wertigkeit ist das definierende Element der Gefühle im übertragenen Sinn.

A: Was geschieht, wenn die Gefühle fehlen?

R: Das vollständige Fehlen von Gefühlen wäre eine Aufhebung des Seins. Aber schon eine weniger radikale Beseitigung von Gefühlen würde das Wesen des Menschen beeinträchtigen. Könnte man die Gefühlsspuren des eigenen Geistes verringern, bliebe hypothetisch nur noch eine ausgetrocknete Kette sensorischer Bilder der Aussenwelt in allen bekannten Formen – Anblicke, Geräusche, Berührungen, Gerüche, Geschmäcke – , alle mehr oder weniger konkret oder abstrakt, alle übersetzt in eine symbolische – genauer gesagt: verbale – Form oder auch nicht, und alle erwachsen aus der tatsächlichen Wahrnehmung oder werden aus dem Gedächtnis abgerufen.

A: Wo haben die Gefühle ihren Platz?

R: Ich lokalisiere meine Gefühle im Körper, häufig mit ziemlich vollständigen Koordinaten –, die eines Navigationsgerätes würdig wären –, die in meinem Geist repräsentiert sind. Wenn ich mich beim Kartoffelschälen schneide, spüre ich den Schnitt in meinem Finger, und die physiologischen Schmerzmechanismen setzen mich darüber in Kenntnis, wo genau der Schnitt sich ereignet hat: in der Haut der Kuppe meines linken Zeigefingers. Wir lokalisieren zwar tatsächlich den Schmerz, was natürlich nützlich ist, aber nicht weniger wichtig ist die emotive Reaktion, die uns sofort innehalten lässt und gefühlt wird. Ein Teil unserer Interpretation und der grösste Teil unserer Reaktionen hängen von Gefühl ab. Entsprechend reagieren wir, wenn wir können, und das sogar wissentlich.

A: Würdest du bitte das Wort «emotiv» veranschaulichen?

R: Wenn wir einen musikalischen Klang hören, den wir als genussvoll erleben, ist das Gefühl des Genusses die Folge einer schnellen Veränderung im Zustand unseres Organismus. Eine solche Veränderung wird emotiv genannt. Sie besteht aus einer Ansammlung von Abläufen, durch die sich die Hintergrund-Homöostase verändert.

A: Wie definierst du die Homöostase?

R: Homöostase ist der Prozess, durch den die physiologischen Parameter eines Lebewesens (beispielsweise Temperatur, pH, Nährstoffkonzentration, Tätigkeit der Eingeweide) in dem Bereich gehalten werden, der einer optimalen Funktion und dem Überleben am zuträglichsten ist.

A: Ich habe keine klare Vorstellung von einem Affekt! Was ist ein Affekt?

R: Den Affekt können wir uns als das Universum unserer in Gefühle umgewandelten Ideen vorstellen. «Affekte» ist also ein weit gefasster Oberbegriff, unter den wir nicht nur alle möglichen Gefühle einordnen können, sondern auch die Situationen und Mechanismen, die für ihre Entstehung verantwortlich sind, das heisst für die Erzeugung der Abläufe, deren Erleben zu Gefühlen wird.

A: Würdest du bitte den Unterschied zwischen einem Gefühl und einer Emotion verdeutlichen?

R: Die allgemeine Unterscheidung zwischen Emotion und Gefühl ist einigermassen klar. Während es sich bei Emotionen um Abläufe handelt, die von Ideen und Denkweisen begleitet sind, handelt es sich bei emotionalen Gefühlen meist um Wahrnehmungen dessen, was unser Körper während des Ablaufs der Emotionen tut, und hinzu kommen Wahrnehmungen unseres Geisteszustands während der gleichen Zeit. Aus der Sicht der Neuronen beginnt der Zyklus des Fühlens von Emotionen im Gehirn mit der Wahrnehmung und Einschätzung eines Reizes, der potenziell eine Emotion hervorrufen kann, und dem anschliessenden Auslösen der Emotion. Der Vorgang breitet sich dann an verschiedenen Stellen des Gehirns und im übrigen Körper aus und baut den emotionalen Zustand auf. Am Ende kehrt der Prozess zu dem Teil des Kreislaufs, der dem Fühlen entspricht, ins Gehirn zurück.

A: Würdest du bitte erläutern, wieso die Gefühle die zweite Zutat der Subjektivität sind?

R: Die Perspektive, die von dem Muskel-Skelett-Gerüst und seinen Sinnesportalen erzeugt wird, reicht zum Aufbau der Subjektivität nicht aus. Neben dem sensorisch erzeugten Blickwinkel trägt auch die ständige Verfügbarkeit von Gefühlen entscheidend zur Subjektivität bei. Die Fülle der Gefühle schafft einen reichhaltigen Hintergrundzustand, den wir als «Gefühligkeit» bezeichnen könnten. Gefühle begleiten den Ablauf des Lebens in unserem Organismus, ob man nun wahrnimmt, lernt, sich erinnert, sich etwas vorstellt, überlegt, beurteilt, entscheidet, plant oder mental etwas erschafft.

A: Wie werden die Gefühle in Verbindung mit der sensorischen Perspektive die Subjektivität erzeugen?

R: Gefühle sind eine natürliche, reichhaltige Begleiterscheinung der Bilder, die im offenkundigen Bestandteil des Bewusstseins festgehalten werden. Ihre Fülle erwächst auf zwei Quellen. Die eine betrifft den laufenden Lebenszustand, dessen Homöostase-Niveau zu Zuständen des Wohlbefindens oder des Unwohlseins in allen möglichen Abstufungen führt. Das Auf und Ab der spontanen homöostatischen Gefühle liefert einen stets vorhandenen Hintergrund, ein mehr oder weniger reines Gefühl des Seins ganz ähnlich jenem, nach dem Menschen durch Meditation streben. Die zweite Quelle der Gefühle ist die Verarbeitung der vielen Bilder, die die Prozession der Inhalte in unserem Geist bilden und dabei sowohl emotive Reaktionen als auch die zugehörigen Gefühlszustände erzeugen. Dieser Prozess basiert auf bestimmten Merkmalen in den Bildern jedes Objekts, jeder Handlung oder Idee in unserem mentalen Strom, denen es gelingt, eine emotive Reaktion auszulösen und damit ein Gefühl zu erzeugen. Die vielen auf diese Weise produzierten Gefühle gesellen sich zu dem ständigen Strom der homöostatischen Gefühle und reiten auf seiner Welle. Dies hat zur Folge, dass es keine Gruppe von Bildern gibt, die nicht von einer gewissen Menge an Gefühlen begleitet wäre.

A: Wie es scheint, bringen die Gefühle die Bilder hervor und lösen das Verhalten aus!

R: Bestimmt! Zusammenfassend können wir also festhalten, dass Subjektivität aus zwei Teilen zusammengesetzt wird: erstens aus einer «Perspektive des Organismus» relativ zu den Orten im Körper, an denen die Bilder, die bewusst gemacht werden, entstanden sind; und zweitens aus dem unaufhörlichen Aufbau spontaner und provozierter Gefühle, die durch grundlegende Bilder ausgelöst werden und sie begleiten. Wenn die Bilder in der Perspektive des Organismus richtig platziert und von geeigneten Gefühlen begleitet sind, ist ein mentales Erlebnis die Folge. Bewusstsein im vollständigen Sinn des Begriffs tritt dann auf, wenn solche mentalen Erlebnisse ordnungsmässig in ein breiteres Panorama integriert werden.

A: Was sind mentale Erlebnisse?

R: Die mentalen Erlebnisse, die das Bewusstsein ausmachen, hängen also von der Gegenwart mentaler Bilder und von dem Prozess der Subjektivität ab, der solche Bilder zu den unseren macht. Subjektivität erfordert einen perspektivischen Blickwinkel auf die Entstehung der Bilder und die umfassende Gefühligkeit, die die Bilderverarbeitung begleitet. Beide kommen unmittelbar aus dem eigentlichen Körper. Sie sind die Folge der ständigen Neigung des Nervensystems, wahrzunehmen und Karten nicht nur von den Objekten und Ereignissen in der Umwelt des Organismus herzustellen, sondern auch von denen in seinem Inneren. Ein Erlebnis bedeutet, wie wir eine Multimediashow miterleben, in der du oder ich die Zuschauer sind und bei der wir gelegentlich sogar die Show miterleben können, in der wir selbst die Show miterleben. Dafür reicht Subjektivität nicht aus, ganz gleich, wie hoch sie entwickelt ist. Damit es geschieht, brauchen wir noch einen weiteren Prozess, der darin besteht, Bilder und die jeweilige Subjektivität in ein mehr oder weniger weit gefasstes Panorama einzuordnen.

A: Sind Erlebnisse ein Bestandteil des Bewusstseins?

R: Ja, Bewusstsein im wesentlichen Sinn des Begriffs ist ein bestimmter Geisteszustand, bei dem mentale Bilder von Subjektivität durchtränkt sind und in einer mehr oder weniger umfangreichen, integrierten Darstellung erlebt werden!

A: Wie werden Subjektivität und die Integration der Bilder bewerkstelligt?

R: Der Geist erwächst in all seiner Komplexität aus der kombinierten Tätigkeit des Nervensystems und seines zugehörigen Körpers; beide arbeiten unter dem Taktstock des Homöostase-Gebots, das sich in jedem Individuum in allen Zellen, Geweben, Organen, Systemen und ihrer globalen Artikulation manifestiert. Bewusstsein erwächst aus interaktiven Verkettungen, die mit dem Leben zusammenhängen, und es braucht nicht besonders betont zu werden, dass das Bewusstsein durch seine Verbindung zum Leben auch in einem Zusammenhang mit dem Universum der Chemie und Physik steht, das den Nährboden der Organismen bildet und in dem unser Organismus existiert.

A: Wo im Gehirn finden die entsprechenden Prozesse statt?

R: Forscher identifizieren im Gehirn mehrere Regionen und Systeme, die eindeutig damit beschäftigt sind, entscheidende Bestandteile des zuvor skizzierten Prozesses zu erzeugen: perspektivischen Standpunkt, Gefühle und die Integration von Erlebnissen. Diese Areale und Systeme beteiligen sich gemeinsam an dem Prozess und treten geordnet an das Fliessband heran, um es dann wieder zu verlassen.

A: Was sind die Merkmale der Integration von Erlebnissen?

R: Der Prozess zur Integration von Erlebnissen macht es notwendig, die Bilder nach Art eines Narrativs zu ordnen und diese Bilder mit dem Subjektivitätsprozess zu koordinieren. Dies bewerkstelligen die Assoziationsfelder beider Gehirnhälften, die in umfangreichen Netzwerken angeordnet sind. Diese umfangreichen Netzwerke verknüpfen Gehirnareale, die nicht nebeneinanderliegen, durch recht lange, in beide Richtungen verlaufende Nervenbahnen. Kurz gesagt erzeugen vielfältige Gehirnteile in enger Wechselwirkung mit dem eigentlichen Körper die Bilder; sie erzeugen Gefühle zu diesen Bildern und zeichnen sie gemeinsam auf der Landkarte der Perspektiven ein, sodass die beiden Zutaten der Subjektivität vorhanden sind. Andere Gehirnareale sorgen dafür, dass Bilder, die an den sensorischen Quellen auftauchen, nacheinander ausgeleuchtet werden, und tragen so zu einer weiter gefassten Darstellung von Bildern bei, die sich in der Zeit weiterbewegt, aber nicht im Ort. Die Bilder müssen im Gehirn nicht hin und her bewegt werden. In die Subjektivität und die Integration fliessen die Bilder mittels einer lokalen, sequenziellen Ausleuchtung ein. In jeder Zeiteinheit kann eine kleinere oder grössere Zahl von Bildern und Narrativen verarbeitet werden, und dies bestimmt in jedem einzelnen Augenblick über den Wirkungsbereich der Integration. Die einzelnen Gehirnareale und viele Körperteile, von denen sie unterstützt werden, sind tatsächlich über Nervenbahnen verknüpft, sodass man die Vorgänge zu neuroanatomischen Strukturen und Systemen zurückverfolgen kann.

A: Es scheint, dass unser Körper die Bühne unserer Gefühle ist!

R: Gewiss! Menschen benutzen oft den Körper als Bühne für die Gefühle.

A: Erzähle weiter!

R: Das panoramaförmig integrierte Erlebnis also, die Theater- oder Filmvorführung, die von einem Subjekt – von dir oder mir – beobachtet wird, findet man nicht in einer einzelnen Gehirnstruktur, sondern in einer zeitlichen Serie mehr oder weniger zahlreicher Bilder, die nacheinander aktiviert werden, ganz ähnlich wie die vielen Einzelbilder in einem tatsächlichen Film. Die Bilder werden einfach in einem Narrativ hergestellt und angeordnet und damit mit Subjektivität durchtränkt. Die Bandbreite der Integration weitet auf ein grösseres, vieldimensionales Panorama aus, in dem der Raum von der Zeit abhängig ist.

A: Von der Sinneswahrnehmung bis zum Bewusstsein. Wir sehen, riechen, schmecken oder empfinden z. B. einige Dinge auf eine ganz bestimmte innerliche Weise.

R: Gefühle sind ein Kern – vielleicht der Kern – mentaler Zustände, und sie entsprechen einem ganz bestimmten grundlegenden Inhalt: dem inneren Zustand des Körpers, in dem das Bewusstsein angesiedelt ist. Und da sie sich auf die unterschiedliche Qualität des Lebenszustandes in diesem Körper beziehen, haben Gefühle zwangsläufig eine Wertigkeit, das heisst, sie sind gut oder schlecht, positiv oder negativ, von Vorliebe oder Abneigung geprägt, erfreulich oder schmerzhaft, angenehm oder unangenehm. Wenn Gefühle, die den jetzigen inneren Lebenszustand beschreiben, in die derzeitige Perspektive des Gesamtorganismus «gestellt» oder sogar dort «angeordnet» werden, ergibt sich Subjektivität. Und von da besteht für die Ereignisse, die uns umgeben und an denen wir uns beteiligen, sowie für die Erinnerungen, die wir abrufen, eine neue Möglichkeit: Sie können für uns tatsächlich wichtig sein und den Lauf unseres Lebens beeinflussen. Kulturelle Erfindungen von Menschen erfordern diesen Schritt: Ereignisse müssen wichtig sein, sie müssen automatisch als nützlich oder nicht nützlich für das Individuum, zu dem sie gehören, eingestuft werden.

A: Wenn man etwas nicht fühlt, ist es auch kein Gefühl, keine Emotion.

R: Auf jeden Fall! Bewusste Gefühle, die jemandem gehören, erlauben eine erste Einschätzung von Situationen als problematisch oder nicht. Sie beleben die Fantasie und regen den Prozess des Nachdenkens auf der Ebene an, auf der eine Situation als problematisch oder falscher Alarm eingestuft wird. Subjektivität ist erforderlich, damit die kreative Intelligenz angetrieben wird, die ihre Ausdrucksform in der Kultur findet.

A: Gefühle zu haben, ist von ausserordentlichem Wert für die Organisation des Überlebens. Der Prozess des Fühlens macht den Organismus aufmerksam auf das Problem!

R: Allerdings! Die Subjektivität konnte Bilder, Geist und Gefühle mit neuartigen Eigenschaften ausstatten: mit einem Besitzgefühl bei dem Organismus, in dem die betreffenden Phänomene ablaufen; mit dem Meinsein, welches es erlaubt, in das Universum der Individualität einzutreten. Mentale Erlebnisse verschafften dem Geist eine neue Wirkung, die für unzählige Arten von Lebewesen ein Vorteil war. Und wenn wir die Menschen betrachten, so waren mentale Erlebnisse ein unmittelbarer Hebel für den gezielten Aufbau von Kulturen: Die mentalen Erlebnisse von Schmerzen, Leiden und Freude wurden zur Grundlage für Wünsche der Menschen, zu Trittsteinen auf dem Weg zu Erfindungen, und damit standen sie in scharfem Kontrast zu den Verhaltensweisen, die sich bis dahin durch die Tätigkeit von natürlicher Selektion und genetischer Übertragung zusammengefunden hatten. Die Kluft zwischen diesen beiden Prozessen – zwischen biologischer und kultureller Evolution – ist riesengross, und deshalb übersieht man leicht, dass die Homöostase als lenkende Kraft hinter beiden steht.

A: Gefühle bewirken, dass wir uns in bestimmter Weise verhalten!

R: Ohne Zweifel! Wenn ich mir einer bestimmten Wahrnehmung bewusst bin – zum Beispiel der Abbildung eines Gemäldes mit seinen Formen, seiner Farben und seiner Tiefenwirkung –, weiss ich automatisch, dass es sich dabei um mein Bild handelt, das mir gehört und niemandem sonst. Dieser Aspekt des mentalen Erlebens wird als «Subjektivität» bezeichnet, aber durch die Erwähnung von Subjektivität allein wird nichts über die Funktionsbestandteile gesagt, von denen sie, wie ich gerade behauptet habe, aufgebaut wird. Damit meine ich die Qualität des mentalen Erlebens, die Gefühligkeit und die Einbettung der Gefühligkeit im Perspektivrahmen des Organismus.

A: Körpergefühle sind phänomenal – bewusste Zustände, die lebenswichtige Eigenkörperzustände ihrer Träger bewerten.

R: Natürlich! Das Erleben wird selbst teilweise erst durch Gefühle geschaffen, es geht also eigentlich nicht um Begleitung. Gefühle sind die Folge von Abläufen, die in Organismen wie dem unseren für die Homöostase notwendig sind. Als integraler Bestandteil sind sie aus demselben Holz geschnitzt wie andere Aspekte des Geistes. Das Homöostase-Gebot, das sich durch die gesamte Organisation der ersten Lebewesen zieht, führte zur Selektion chemischer Reaktionsprogramme und bestimmter Abläufe, die dafür sorgten, dass der Organismus unversehrt blieb. Nachdem es Organismen mit Nervensystem und der Fähigkeit zur Bilderzeugung gab, schufen Körper und Gehirn durch ihr Zusammenwirken vieldimensionale Bilder der komplexen, aus vielen Schritten bestehenden Programme der Integritätserhaltung und brachten so Gefühle hervor.

A: Von allen unseren bewussten Erfahrungen und Erlebnissen sind uns Gefühle am wichtigsten!

R: Zweifellos! Als mentale Übersetzer der Vorteile chemischer Programme und Abläufe für Homöostase oder ihr Fehlen in Bezug auf verschiedene Objekte, ihre Bestandteile und Situationen, setzen die Gefühle den Geist über den derzeitigen Zustand der Homöostase in Kenntnis und fügten eine weitere Schicht wertvoller Regulationsmöglichkeiten hinzu. Gefühle waren ein entscheidender Vorteil, und die Natur versäumte es nicht, sie zu selektionieren und als ständige Begleitung mentaler Prozesse zu nutzen. Mentale Zustände fühlen sich wie irgendetwas an, weil es für die Organismen von Vorteil ist, wenn ihre mentalen Zustände durch Gefühle bewertet werden. Nur dann können mentale Zustände dem Organismus dabei helfen, Verhaltensweisen hervorzubringen, die am besten mit der Homöostase vereinbar sind. Komplexe Lebewesen wie wir selbst würden ohne Gefühle nicht überleben. Die natürliche Selektion gewährleistete, dass Gefühle zu einem dauerhaften Merkmal mentaler Zustände wurden.

A: Gefühle sind mentale Zustände, die der Mensch von seinen Vorfahren geerbt hatte, weil sie ihm halfen, sich anzupassen, zu überleben und sich fortzupflanzen.

R: Unbestreitbar! Um noch einmal daran zu erinnern: Gefühle entstehen aus einer Reihe abgestufter, mit dem Körper zusammenhängender Prozesse von unten nach oben, das heisst aus einfacheren chemischen Abläufen und Handlungsphänomenen, die sich im Laufe der Evolution ansammelten und beibehalten wurden.

A: Das Vorhandensein von Gefühlen ist der Ausgangspunkt für die nächste Entwicklung – das Gefühl des Erkennens, dass wir Gefühle haben!

R: Klar! Durch Gefühle veränderte sich die Evolution kohlenstoffbasierter Lebewesen, wie wir es sind. Das ganze Ausmass ihrer Wirkungen konnten die Gefühle aber erst in einem späteren Evolutionsstadium entfalten, als Gefühlerlebnisse in die weiter gefasste Perspektive eines Subjekts eingebaut und zur Kenntnis genommen wurden, sodass sie für das Individuum von Bedeutung waren. Erst von da an beeinflussten sie Fantasie, Vernunft und kreative Intelligenz. Das alles konnte erst geschehen, als das zuvor isolierte Gefühlserlebnis in das mithilfe von Bildern konstruierte Subjekt eingebaut wurde.

A: Es sieht so aus, dass die Gefühle evaluativ und wichtige Komponente der phänomenal-bewussten Zustände sind.

R: Das schwierige Problem besteht in der Tatsache, dass man unter Umständen nur schwer oder überhaupt nicht erklären kann, wie mentale Erlebnisse – oder genauer gesagt: gefühlte mentale Erlebnisse – erzeugt werden können, wenn der Geist aus organischem Gewebe erwächst. Ich vermute, dass die Verflechtung von perspektivischem Blickwinkel und Gefühlen eine plausible Erklärung für die Entstehung mentaler Erlebnisse bietet.

A: Wir unterhalten uns seit heute Mittag über Bewusstsein. Ich bin müde und hungrig, machen wir Schluss?

R: Ich habe keinen Einwand!

A: Ich habe um 20:00 Uhr zwei Plätze im Restaurant «Falcone» reserviert!

R: Prima!

 

 

 

Quellen

Damasio, Antonio. Selbst ist der Mensch. München: Siedler, 2013.

Damasio, Antonio. Ich fühle, also bin ich. Berlin: Ullstein, 2013.

Damasio, Antonio. Im Anfang war das Gefühl. München: Siedler, 2017.

Damasio, Antonio. Wie wir denken, wie wir fühlen. München: Carl Hanser, 2021.

Detel, Wolfgang. Grundkurs Philosophie. Band 3. Philosophie des Geites und der Sprache. Ditzingen: Reclam, 2022.

Detel, Wolfgang. Grundkurs Philosophie. Band 8. Philosophische Anthropologie. Ditzingen: Reclam, 2022.

Eagleman, David. THE BRAIN. Die Geschichte von dir. München: Pantheon, 2019.

LeDoux, Joseph. BEWUSSTSEIN. Die ersten vier Milliarden Jahre. Stuttgart: Klett-Cotta, 2021.