Die Bühne

A: Endlich bist du zu Hause!

R: Ja, ich musste länger arbeiten, sorry für die Verspätung!

A: Kein Problem, du bist sicher müde, möchtest du etwas trinken?

R: Das Gleiche, was du trinkst!

Stimme:
Gib ihm den Wein, den alten,
der ihm Kraft verleiht,
Mach ihn trunken und entfremde,
Ihn der Welt, dieser Welt, verborgener Dinge! (1)

A: Ich öffne eine Flasche Wein, hole zwei Becher aus dem Schrank und schenke dir und mir Wein ein. Jetzt kannst du den Wein ausprobieren, Prost!

R: Danke, Prost!

A: Wie schmeckt dir der Wein?

R: Eine angenehme Empfindung habe ich im Mund, er ist gut. Kann ich mich frei ausdrücken?

A: Auf jeden Fall!

R: Wissenschaftler behaupten, dass der ganze Weltraum aus vier Kräften besteht. Ich glaube, dass auch der Mensch aus vier Kräften besteht. Der Mensch hat die Fähigkeit zu unterscheiden, damit hat er Energie. Er hat das Gedächtnis, welches eine Strukturierung der Zeit hervorbringt. Die Gestaltung des Raumes verrät seine Einsicht. Darüber hinaus besitzt der Mensch doch das Bewusstsein, das der Materie gleicht, welche die Zustandsform des Geistes und Körpers darbietet. Die vier Elemente und zwar Wasserstoff, Stichstoff, Sauerstoff und Kohlenstoff sind auch bei Menschen vorhanden. Sie gleichen dem Individuum, dem Denken, sie ähneln der Realität und der Kausalität.

A: Was du nicht sagst! Möchtest du noch ein Glas Wein?

R: Ja, gerne, dieser Wein gefällt mir. Was liest du?

A: Ein Buch!

R: Würdest du bitte vorlesen, was du gerade liest?

A: Ich habe schon einige Seiten des Buches gelesen, es ist nicht leicht, aber ich versuche es. Also, ich fange an: „Zum ersten Mal ass er die weissen Sumpfweizen aus Indien. Die länglichen, perlengleichen Körner gequollen und hatten sich voll Fett gesaugt. Zusammen mit dem saftigen Fleisch und den süssen Wurzeln zergingen sie auf der Zunge und belasteten nicht den Magen. Wie es bei den Persern üblich war, hatte man ganze Berge weisser und roter Wintertrauben, zerkleinerter Mandeln und Früchte aufgeschüttet. Die Perser kosteten armenischen Wein, auf taurischer Eiche angesetzt. Lautlos schenkten Sklaven aus schmalhälsigen, edelgeformten Krügen nach“. (2). Oh, ich habe Durst!

R: Ich bin auch durstig!

A: Du kannst uns gerne Wasser holen.

R: Ich bin fest davon überzeugt, dass das Wasser das beste Getränk ist, das der Mensch erfunden hat! Hier ein Glas Wasser.

A: Danke dir. Was redest du? Was soll das werden? Die Menschen haben das Wasser nicht erfunden, sondern sie bestehen aus Wasser. Das Wasser ist für die Menschen existentiell.

Stimme:
Der Wein ist lauter, eil dich,
Die Zeit ist kostbar, heil dich, (1)

A: Möchtest du einen Schluck Wein?

R: Gerne, schenkst du mir welchen ein?

A: Ja, das mache ich, Prost!

R: Danke, prost! Ist das Leben eine Theaterbühne?

A: Keine einfache Frage, was hältst du davon?

R: Einst war die Erde ein dunkler Ort. Unser blauer Planet war eine kleine, flache Bühne, voller Verderbnis und Sünde, eingeschlossen in einer rätselhaften Himmelssphäre, in der es böse Vorzeichen wie etwa Kometen gab, die die Könige und Bauern gleichermassen in Schrecken versetzten. Und wenn die Menschen es am gebotenen Gehorsam gegenüber Gott und Kirche fehlen liessen, bekamen sie den geballten Zorn der Theaterkritiker zu spüren, der selbstgerechten Inquisitoren und ihrer schädlichen Mittel peinlicher Befragung. Newton und Einstein befreiten uns von Aberglauben und Mystizismus der Vergangenheit. Newton lieferte uns exakte, mechanische Gesetze, denen alle Himmelskörper gehorchten, auch der Unsere. Einstein revolutionierte unser Bild von der Bühne des Lebens. Plötzlich war es nicht nur unmöglich, ein allgemeingültiges Mass für Zeit und Raum festzulegen, sondern die Bühne war auch gekrümmt. Newton sah die Bühne als statischer Ort, für Einstein war die Bühne dynamisch. Bei einem Theaterbesuch achten wir auf die Schauspieler, das Bühnenbild und die Handlung.

Stimme:
Die ganze Welt ist Bühne,
Und alle Frauen und Männer blosse Spieler,
Sie treten auf und gehen wieder ab. (3)

R: Die Quantenrevolution vermittelte uns ein noch seltsameres Bild von der Bühne der Welt. Die Schauspieler dürfen nun an zwei Orten zugleich sein und haben die Möglichkeit, unvermittelt auf- und abzutreten. Fortan lässt sich nicht mehr mit Gewissheit angeben, wo und wann ein Schauspieler auf der Bühne steht. Im Quantentheater werfen die Darsteller plötzlich ihre Rollenbücher weg und führen ihr eigenes Stück auf. Manchmal treten sie an zwei Orten zur gleichen Zeit auf. Die Schauspieler, die ihren Text aufsagen, können nie sicher sein, ob sie zu jemandem sprechen oder nicht, und wenn sie zu jemandem sprechen, kann ihr Gegenüber plötzlich verschwinden und an einem anderen Ort wiederauftauchen.

Stimme:
Wenn morgen wird der Wahrheit Bühne,
vor allen Blicken offenkund,
Dann müssen sich die Spieler bedenken,
all deren Werk nur Scheinwerk ist. (1)

R: Mit dem Konzept des Multiversums werden Parallelbühnen eingeführt, eine über der anderen und alle durch Falltüren und verborgene Tunnel verbunden. In einem immerwährenden Schöpfungsprozess erzeugen Bühnen andere Bühnen, und auf jeder Bühne gelten neue physikalische Gesetze. Schliesslich gibt es entweder ein kosmisches Bewusstsein, das über uns alle wacht oder eine unendliche Zahl von Quantenbühnen. Einmal sagte ich zum Universum: Sir ich existiere! „Mag sein“, erwidert das Universum und nach einem Augenblick fügt es weiter hinzu: „Doch der Umstand hat in mir kein Gefühl der Verpflichtung geweckt“.

Stimme:
Die Bühne ist verrückt, seltsam,
voller Wunder und Geheimnis,
Sie wird von blinder Gleichgültigkeit,
der physikalischen Kräfte bestimmt,
Sie hat weder Plan, noch Zweck,
Sie ist weder gut, noch böse,
Die Tragödie steht nicht im Rollenbuch,
Die Tragödie ist;
Es gibt kein Rollenbuch. (4)

A: Es ist traurig!

R: Was ist traurig?

A: Es wäre wirklich traurig, ein Atom zu sein in einem Universum ohne Physiker. Und Physiker bestehen aus Atomen. Ein Physiker ist für ein Atom das einzige Mittel, Kenntnis von Atomen zu erhalten.

R: Gegenwärtig sind wir Schauspieler, die im ersten Akt leben, das heisst, wir fangen gerade erst an, die Wunder dieser Bühne zu erforschen. Oft vergessen wir, wie kostbar Leben und Bewusstsein sind. Wir versäumen, uns klar zu machen, dass eine so einfache Sache wie flüssiges Wasser zu den kostbarsten Stoffen des Universums gehört – dass im Sonnensystem, und vielleicht sogar in unserem Abschnitt der Galaxie, nur die Erde (und vielleicht der Jupitermond Europa) Wasser in nennenswerten Mengen besitzt. Wahrscheinlich ist auch, dass das menschliche Gehirn das komplexeste Objekt ist, das die Natur im Sonnensystem und vielleicht sogar in unserer Region der Milchstrasse geschaffen hat. Wenn wir die scharfen Bilder von den leblosen Oberflächen des Mars oder der Venus betrachten, sind wir von der Ödnis dieser Regionen betroffen, keine Städte und Lichter, noch nicht einmal Spuren der komplexen organischen Verbindungen, auf denen das Leben basiert. Das sollte uns zu Bewusstsein bringen, was für ein seltenes Geschenk das Leben ist, und was für ein Wunder, dass es auf der Erde gedeiht.

Stimme:
Von Wein und Musikanten singe!
Der Welt Geheimnis lasse ruhen! (1)

A: Möchtest du noch einen Schluck Wein?

R: Gerne!

A: Ich schenke dir einen ein.

R: Danke, der Wein schmeckt hervorragend.

A: Wie funktioniert unsere Bühne? Gibt es eine Beschreibung?

R: Seit wir vor rund 100`000 Jahren Afrika verliessen, haben vielleicht 5000 Generationen auf der Erde gelebt, und von ihnen wird die eine, die in diesem Jahrhundert lebt, letztlich über unser Schicksal entscheiden. Tatsächlich sind die heute lebenden Menschen die wichtigsten, die jemals auf der Erde geweilt haben, denn sie werden bestimmen, ob wir eine planetare Zivilisation erreichen oder unseren Planeten durch Krieg und Umweltverschmutzung zerstören. Wenn Historiker über Geschichte schreiben, sehen sie diese durch die Brille menschlicher Erfahrungen und Fehler, das heisst, sie beschreiben die herausragenden Leistungen von Königen und Königinnen, den Aufstieg gesellschaftlicher Bewegungen und die Verarbeitung von Ideen. Was wäre, wenn wir die Geschichte hingegen aus einer ganz anderen Warte betrachten? Was wenn wir alles, selbst Zivilisationen, nach der Energie, die sie verbrauchen, einordnen? Wendet man dieses Kriterium auf die Menschheitsgeschichte an, wird deutlich, dass sich unsere Energie jahrtausendlang auf 0,2 Pferdestärke, also auf die Kraft unserer blossen Hände beschränkt war. So lebten wir nomadisch in kleinen wandernden Stämmen und suchten unsere Nahrung in einem rauen, lebensfeindlichen Umfeld. Lange Zeit unterschieden wir uns nicht von den Wölfen. Es gab nichts Schriftliches, nur Geschichten, die an einsamen Lagerfeuern von Generation zu Generation weitergereicht wurden. Das Leben auf der Bühne war kurz und brutal, die mittlere Lebenserwartung betrug 20 Jahre. Der gesamte Besitz eines Menschen bestand aus dem, was er auf dem Rücken tragen konnte. Den grössten Teil des Lebens verspürten die Menschen nagenden Hunger. Und nach dem Tod eines Menschen blieb keine Spur auf der Bühne zurück, die darauf hingewies, dass dieser Mensch jemals gelebt hatte.

A: Die Bühne war kalt, dunkel und voller Gefahr.

R: Doch vor 10`000 Jahren geschah etwas Wunderbares, das die Zivilisation in Gang setzte: Die Eiszeit endete. Aus bisher noch nicht verstandenen Gründen endete eine vieltausendjährige Vergletscherung. Das ebnete den Weg für den Aufstieg der Landwirtschaft. Pferde und Rinder wurden domestiziert, was unsere Energie auf eine Pferdestärke erhöhte. Nun besass eine Person genug Energie, um mehrere Morgen Ackerland zu bestellen. So erwirtschaftete man genügend überschüssige Energie, um eine rasch wachsende Bevölkerung zu ernähren. Dank der Domestizierung von Tieren waren Menschen zur Fleischgewinnung nicht länger primär auf die Jagd angewiesen, womit die ersten dauerhaften Dörfer und Städte gegründet werden konnten. Der Überschuss, der von dieser landwirtschaftlichen Revolution geschaffen wurde, brachte neue, einfallsreiche Methoden hervor, diesen Wohlstand zu erhalten und zu mehren. Mathematik und Schrift wurden geschaffen, um diesen Reichtum zu zählen, Kalender wurden gebraucht, um zu wissen, wann gesät und wann geerntet werden sollte, Schreiber und Buchhalter waren nötig, um diesen Mehrbetrag zu erfassen und zu besteuern. Dieser überschüssige Reichtum führte schliesslich zur Aufstellung grosser Armeen, zur Schaffung von Königreichen, Weltreichen, Sklaverei und antiken Zivilisationen.

A: Die Bühne des Lebens ändert sich!

R: Die nächste Revolution fand vor rund 300 Jahren statt, als sich die industrielle Revolution ankündigte. Plötzlich war der Reichturm, den eine Einzelperson anhäufte, nicht mehr das Produkt ihrer Hände und Pferde, sondern von Maschinen, die via Massenproduktion zu fabelhaftem Reichtum führen konnten. Dampfbetriebene Motoren konnten leistungsstarke Maschinen und Lokomotiven antreiben, sodass Reichtum nicht mehr vorwiegend aus der Landwirtschaft, sondern aus Fabriken, Mühlen und Mienen erwuchs. Bauern und Landarbeiter, die der Knochenarbeit auf den Feldern müde waren und vor periodisch wiederkehrenden Hungersnöten flohen, strömten in die Städte und schufen die Klasse der Industriearbeiter. Hufschmiede und Wagenbauer wurden denn schliesslich durch Automobilarbeiter ersetzt. Mit dem Aufkommen des Verbrennungsmotors konnte ein Mensch nun Hunderte von Pferdestärken kontrollieren. Wir verwendeten tote Pflanzen nämlich Öl und Kohle, um unsere Maschinen zu betreiben. Und heute verbrennen wir immer noch fossile Brennstoffe für den Antrieb unserer Maschinen. Wir verbrauchen auch Energie von Wasserkraftwerken, Kernkraftwerken, aus Windkraft, Solarsystem, dennoch in geringeren Mengen. Je grösser die Wirtschaft, desto grösser auch der Energiebedarf.

A: Die Bühne ist aktiv, lebhaft, schwankend und veränderlich!

R: Derzeit erleben wir die dritte Welle, wo Reichtum aus Informationen erwächst. Der Wohlstand einer Nation wird nun in Elektronen gemessen, die via Glasfaserkabel und Satelliten um die Welt kreisen und schliesslich über die Computerbildschirme in der Wall Street und andern Finanzhauptstädten tanzen. Wissen, Kommerz und Unterhaltung reisen fast mit Lichtgeschwindigkeit und versorgen uns in jeder Zeit, an jedem Ort unbegrenzt mit Informationen.

Stimme:
Unsere Schicksalssterne erkennt
noch kein Astronom,
Trinke und vertraue dem Wein
das Elixier, das Werk der Welt (1)

 

 

 

Quellen:

  1. – Hafis, persisch ausgesprochen, Hàfez (1315-1390) ist einer der bekanntesten persischen Dichter und Mystiker.
  2. – Mazdak, ein Werk von Moris Simaschko, Verlag Volk und Welt, Berlin 1976.
  3. – William Shakespeare, (1564-1616), der berühmter englische Lyriker, Schauspieler und Dramatiker.
  4. – Schreiber

Kaku, Michio. Die Physik des Unmöglichen. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2010.

Kaku, Michio. Im Paralleluniversum. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2007.

Kaku, Michio. Die Physik der Zukunft. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2012.