Gesundheit

A: Bist du bereit?

R: Ja, ich bin bereit.

Stimme:

Ein sicherer Ort, ein lauter Wein,
Ein Freund, der Liebe nährt,
O des beglückenden Geschicks
Ist dies dir stets beschert! (1)

A: Ich schenke dir und mir Wein ein, Prost!

R: Danke, Prost!… Der Wein ist gut.

A: Wunderbar, nun, das letzte Mal haben wir uns über den Spieler unterhalten und du hast dessen vier Naturkräfte und sieben Eigenschaften beschrieben. Was sind die Handlungen des Spielers?

R: Der Spieler kann seine Aufmerksamkeit auf zwölf Handlungen richten. Sie sind: Gesundheit, Ernährung, Wohlstand, Ungleichheit, Umwelt, Frieden, Sicherheit, Demokratie, gleiche Rechte, Wissen, Lebensqualität und Glück.

A: Also, der Spieler, der auf der Bühne steht, ist der Mensch, betrifft dich, mich und jeden anderen. Wie definierst du „Gesundheit“ als eine von zwölf Handlungen des Menschen?

R: Wie erklären wir uns das Geschenk des Lebens, das immer mehr Angehörigen unserer Spezies seit dem Ende des 18. Jahrhunderts zuteil wurde?

A: Ich weiss es nicht!

R: Der Kampf ums Überleben ist der elementarste Trieb aller Lebewesen, und der Mensch setzt all seinen Erfindungsreichtum und bewusste Entschlossenheit dafür ein, dem Tod so lange wie möglich zu trotzen. Schon immer haben die Menschen gegen Krankheiten kämpfen müssen. Sie begannen, die Kraft ihres Verstandes einzusetzen, um ihre Lebensbedingungen zu verbessern und im Laufe der Zeit haben sie einen Weg gefunden, dies zu tun und die Kräfte des Todes zu verringern. Die Menschen haben das Konzept der Gesundheit entdeckt.

A: Warum ist die Gesundheit ein Konzept?

R: Sie ist ein Konzept, weil sie ohne eine Umwelt nicht existieren würde. Sie bezieht sich auf zwei Ebenen, nämlich auf die individuelle und die gesellschaftliche. In der gesamten Menschheitsgeschichte waren Infektionskrankheiten die stärkste Kraft des Todes – jene unangenehme Eigentümlichkeit der Evolution, die sich dadurch auszeichnet, dass sich kleine Organismen mit rasanten Fortpflanzungsraten auf unsere Kosten durchfüttern und sich per Anhalter von Ungeziefers, Würmern und Körperflüssigkeiten von einem Körper zum anderen chauffieren lassen. Epidemien haben Millionen Menschenleben gefordert, dabei ganze Zivilisationen ausgelöscht und überfallartig lokalen Populationen viel Leid beschert. Vor nicht allzu langer Zeit versanken die grossen Städte in Exkrementen, ihre Flüsse und Seen waren ein zäher Brei aus lauter Müll und die Bewohner tranken eine faulige braune Brühe, in der sie auch ihre Kleider wuschen. Ärzte und Pfleger gefährdeten die Gesundheit ihrer Patienten stark, weil sie in schwarzen, von getrocknetem Blut und Eiter starrenden Mänteln von Autopsien zu Untersuchungen eilten, Wunden mit ungewaschenen Händen inspizierten und sie mit Fäden zunähten, die sie in ihren Knopflöchern deponierten. Doch Ende des 18. Jahrhunderts, mit dem Erfinden der Impfung, und zunehmend im 19. Jahrhundert, als man die Keimtheorie der Krankheiten anerkannte, wendete sich das Blatt. Händewaschen, Mückenbekämpfung und vor allem der Schutz des Trinkwassers durch öffentliche Kanalisation und chloriertes Wasser aus dem Hahn sollten Milliarden Leben retten. Heutzutage sterilisieren Ärzte und Pfleger ihre Hände und Ausrüstungen. Dank Antisepsis, Anästhesie und Bluttransfusion dient die Chirurgie der Heilung und Antibiotika, Gegengifte sowie unzählige weitere medizinische Fortschritte drängen die Angriffe durch Seuchen ebenfalls weiter zurück.

Stimme:

Ein Nichts in Nichts nur ist die Welt
Und Alles nur allzugut.
Such eine sichre Stätte dir
Und nütze deine Zeit. (1)

A: Ich schenke dir noch einen Schluck Wein ein!

R: Danke. Als Lebewesen mit einem Ich-Bewusstsein kümmern sich die Menschen um ihre Gesundheit. Um die Gesundheit zu erlangen, bekämpften die Menschen die Krankheiten und dabei probierten sogenannte Quacksalber die Behandlungsweisen wie Gebete, Opfer, Aderlass usw. aus. Die Lebenserwartung von Jägern und Sammlern betrug rund 20 Jahre. Mitte des 18. Jahrhunderts betrug die Lebenserwartung in Europa und Amerika etwa 35 Jahre und weltweit 29 Jahre. Mit Beginn des 19. Jahrhunderts rüstete sich die Welt für einen grossen Aufbruch und die Befreiung der Menschheit von vielen Krankheiten und des frühen Todes. Die Lebenserwartung beginnt zu steigen und nimmt im 20. Jahrhundert Fahrt auf und zeigt immer noch keine Anzeichen von Ermüdung. Heute steht der Mensch auf der Bühne und die Gesundheit ist sein Konzept. Gesundheit ist eine Errungenschaft und sie ist in unserem Geist, sprich Fühlen, Denken und Handeln verankert. Hände waschen, gesundes Essen, Arztbesuche gehören zu unserem Alltag. Unsere medizinische und soziale Versorgung gehört zu den besten der Welt, wir sind sehr gut ausgebildet, wir leben viel länger und das bei ausgezeichneter Gesundheit, wir können unsere Meinung frei äusseren und verfügen über einen ungeheuren materiellen Komfort. Daraus kann man schliessen, dass die Menschen von heute viel mehr Jahre in blühender Gesundheit verbringen, als ihre Vorfahren insgesamt in Gesundheit und Krankheit gelebt haben.

Stimme:

Denn im Versteck des Lebens steh`n
Weglagerer bereit.
Es könne nur ein Freund, ein Freund
Der Stein der Weisen sein. (1)

A: Möchtest du noch einen Schluck Wein?

R: Danke, der Wein gefällt mir. Die Weltgesundheitsorganisation definiert die Gesundheit wie folgt: „Die Gesundheit ist der Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur die Abwesenheit von Krankheit und Gebrechen“. Gesundsein und Kranksein sind demnach an das Verhalten und Erleben einer Person gebunden: Es ist der Mensch und nicht einfach nur ein körperlicher Organismus, der in seiner Lebenswelt unter den Bedingungen und Anforderungen seines Lebens erkrankt bzw. gesund bleibt. Gesundheit und Krankheit sind deshalb immer zugleich in ihren psychischen, sozialen, ökologischen und physischen Bezügen zu sehen: Gesundsein bzw. Kranksein resultiert aus den wechselseitig aktiv gestalteten Beziehungen des Menschen mit seiner Umwelt.

Stimme:

Entsagen, ist ein eitler Wahn:
Vernunft missbilligt ihn. (1)

A: Noch einen Schluck Wein?

R: Gerne, wo hast du diesen Wein gekauft?

A: An der Bushaltestelle, der Laden heisst: Weinhaus.

R: Die Gesundheitssoziologen untersuchen den Zusammenhang zwischen Gesellschaft und Gesundheit in der weiteren Bedeutung des Wortes. Einer ihrer Schlüsselbegriffe ist Stress, dessen Folgen (sowohl für unser Immunsystem als auch für Herz und Blutgefässe) nachweisbar sind. Die Ursachen für diesen Stress herauszufinden ist dann wieder etwas schwieriger, auch weil wir hier im Westen in einer Wohlstandsregion leben. Schauen wir über den Tellerrand, dann scheint bei den meisten Wissenschaftlern Einigkeit darüber zu bestehen, dass fünf Faktoren unsere Gesundheit beeinflussen: Unsere frühe Kindheit, die Belastung durch Ängste und Sorgen, die Qualität unserer sozialen Beziehungen, das Mass an Konttrolle über unser Leben und schliesslich unser sozialer Status. Je negativer diese Faktoren ausfallen, desto grösser die Gefahr von Erkrankungen und einer verkürzten Lebenserwartung.

Stimme:

Wo weilt der mich zum Guten führt,
Der herzbegabte Mensch. (1)

A: Noch ein Schluck Wasser?

R: Sehr gerne, well, der Mensch lebt gesünder und fühlt sich wohler, wenn er sich den Zehn Schritten auf dem Weg zur persönlichen Gesundheit anschliesst:

  1. Regelmässige sportliche Betätigung.
  2. Nahrhafte, ausgewogene Mahlzeiten (viel Gemüse, Früchte, Getreide, wenig Fett und Cholesterin).
  3. Normalgewicht halten.
  4. 7 – 8 h Schlaf pro Nacht; tägliche Entspannungspausen.
  5. Gurt anlegen bzw. Fahrradhelm tragen.
  6. Nicht rauchen und keine Drogen nehmen.
  7. Mässiger Alkoholgenuss bzw. Verzicht auf Alkohol.
  8. Nur sicherer Sex (Kondome verwenden).
  9. Regelmässige Kotrollen beim Arzt/Zahnarzt; sich an medizinische Verordnungen halten.
  10. Optimistische Lebenseinstellung entwickeln und Freundschaften pflegen.

 

Stimme:

Kommt hunderttausendfacher Witz,
Wohl nimmer auf den Grund. (1)

A: Ich schenke mir Wein ein, möchtest du auch welchen?

R: Ja, danke… Prost! Erinnerst du dich an den Witz?

A: Welchen Witz meinst du?

R: In der Schule hat uns der Physiklehrer eine schriftliche Aufgabe gegeben und wir mussten eine Frage beantworten und die Frage lautete: „Definiere das Universum und gib drei Beispiele“.

A: Ich erinnere mich gut daran.

R: Später hat sich diese Frage als ein Witz erwiesen, weil es nur ein Universum gibt. Aber vielleicht ist es kein Witz.

Stimme:

Und diese feines Wahngebild
Entzückt mich immerdar. (1)

A: Noch einen Schluck?

R: Sehr gerne. Also, unsere persönliche Gesundheit als dynamische Balance hängt von drei Umständen ab. Wir müssen in Betracht ziehen, dass neben den biologischen Aspekten auch unsere Kultur, sprich Lebensweise auf der Bühne der Umstände figuriert. Der erste Umstand ist unsere soziale Lebenswelt. Bitte definiere die soziale Lebenswelt und gib drei Beispiele.

A: Der Mensch ist ein soziales Lebewesen. Er ist lernfähig, beziehungsfähig und handlungsfähig und seine soziale Lebenswelt besteht aus Familie, Freunde, Nachbarn, Arbeitsplatz, soziale Unterstützungen und Netzwerke.

R: Der zweite Umstand ist unser Körper und Bewusstsein. Definiere diesen und nenne Beispiele.

A: Der Mensch ist ein Lebewesen mit einem Ich-Bewusstsein, mit einem Selbstbild, er ist sich seiner selbst bewusst. In der Natur eines Menschen liegt eine angeborene Veranlagung, Muster zu sehen. Er besitzt eine vielseitige Intuition und verlässt sich auf das Empfinden und die Gefühle, auf die Impulse und Ideen. Lebenserfahrung befähigt ihn vorauszuplanen.

R: Der dritte Umstand ist die Umwelt. Definiere dies mit Beispielen, bitte.

A: Umwelt gleicht den Naturgegebenheiten, sprich wo wir geboren worden sind, unsere Gesellschaft, unsere Wohnumwelt, unsere Freizeitmöglichkeiten, unser Verkehr, … Die Politik und Wirtschaft sind die einflussbaren Elemente auf unserer Bühne, worauf wir stehen.

Stimme:

Denn noch auf keinem Wege kam,
Ich bei dem Freunde an, (1)

A: Bist du Müde?

R: Ja, ich will mich hinlegen.

A: Machen wir Schluss.

R: Ja.

Stimme:

Gleicht meines Auges Spiegelring
„Hafis, bin ich bestellt“.
Doch sieh nur bis zu welchem Grad,
Er mich zum Besten hält. (1)

 

 

 

Quellen:

(1) – Hafes, persisch ausgesprochen, Hàfez (1315-1390) ist einer der bekanntesten persischen Dichterund und Mystiker.

Nolting, Hans-Peter & Paulus, Peter. Psychologie lernen. Weinheim und Basel: Beltz, 1999.

Pinker, Steven. Aufklärung Jetzt. Frankfurt am Main: Fischer, 2018.

Verhaeghe, Paul. Und Ich. München: Hunstmann, 2013.

Zimbardo, Philip G & Gerrig, Richard J. Psychologie. Berlin: Springer, 1999.