GFK – Bedürfnisse

A: Guten Morgen!

R: Guten Morgen!

A: Gestern Abend bin ich vor Mitternacht ins Bett gegangen und jetzt fühle ich mich ausgeschlafen.

R: Setz dich hin, ich stelle die Teekanne auf den Tisch und setzte mich dir gegenüber. Ich schenke dir einen frischen Tee ein!

A: Danke für den Tee. Bist du schon lange wach?

R: Nicht lange, seit einer Stunde!

A: Dann fangen wir an!

R: Ja. Was wissen wir über die gewaltfreie Kommunikation?

A: Wir wissen, dass die GFK ein Kommunikationssystem ist.

R: Genau, die gewaltfreie Kommunikation ist eine Prozesssprache. Das heisst, wir machen uns bewusst, dass wir uns in einem ständigen Veränderungsprozess befinden, und deshalb macht es eigentlich viel mehr Sinn, davon zu sprechen, was im Moment lebendig ist oder zu einem bestimmten Zeitpunkt lebendig war. Das heisst, alle Bewertungen von uns selbst und anderen sind immer nur Bewertungen innerhalb eines Prozesses. Man kann das Verb „sein“ auf zwei unterschiedliche Weisen benutzen. In GFK würde ich sagen: „Bist du im Moment wütend?“ Aber wenn ich sage: „Du bist ein wütender Mensch“ dann ist das statische Sprache.

A: Was ist in diesem Zusammenhang eine statische Sprache?

R: Hier bedeutet „statische Sprache“ eine Sprache, die unwandelbar ist. Sie ist unveränderlich und fast nicht anpassungsfähig. Durch die statische Sprache macht man aus Menschen leblose Dinge, und wenn man Menschen zu einem solchen Denken erzieht, dazu, dass es richtig und falsch gibt, normal und unnormal, dann ist diesem Denken eingeschlossen, dass es ganz oben eine Autorität gibt, die weiss, was richtig und was falsch ist.

A: Es scheint, dass die Art und Weise, wie Menschen das Denken gelehrt wurde, eng mit der Sprache zusammen hängt, die sie benutzen.

R: Gewiss, wenn Menschen also in einer Dominanzkultur aufwachsen, dann entsteht aus dieser Erziehung so viel Autorität und somit sehr viel Gewalt, die wiederum das Weltbild dieser Kultur festigt.

A: Wir haben zwei Komponenten der Gewaltfreien Kommunikation besprochen!

R: Wir behandeln heute die dritte Komponente, also Bedürfnisse.

A: Ich trinke meinen Tee und höre dir zu!

R: Die dritte Komponente der GFK besteht aus dem Erkennen und Akzeptieren der Bedürfnisse hinter unseren Gefühlen. Was andere sagen, tun und machen kann ein Auslöser für unsere Gefühle sein, ist aber nie ihre Ursache. Diese Komponente zeigt uns, wie wir Verantwortung für unsere Handlungen als Ursprung unserer Gefühle annehmen können.

A: Daraus kann ich schliessen, was andere sagen oder tun, mag bei mir Gefühle auslösen, aber diese ausgelösten Gefühle, sind nicht die Ursache aller meinen Gefühlen.

R: Wie reagierst du, wenn sich jemand dir gegenüber negativ äussert?

A: Eine gute Frage, ich werde reagieren, aber ich weiss es jetzt gerade nicht wie!

R: Genau, hier stellt sich die GFK zur Verfügung und bietet uns Möglichkeiten an.

A: Würdest du den Sachinhalt mit einem Beispiel verdeutlichen?

R: Jemand ärgert sich und sagt dir: „Du bist der egoistischste Mensch, der mir je begegnet ist“. Wenn wir etwas Negatives hören, besteht unsere Reaktionsmöglichkeit darin, mit dem Licht des Bewusstseins unsere eigenen Gefühle und Bedürfnisse zu erhellen. Dann können wir erwidern: „Wenn ich dich sagen höre, dass ich die egoistischste Person bin, die dir je begegnet ist, fühle ich mich verletzt, weil ich gerne möchte, dass meine Bemühungen, auf das zu achten, was dir wichtig ist, anerkannt werden.“ Indem wir unsere Aufmerksamkeit auf unsere eigenen Gefühle und Bedürfnisse richten, wird uns bewusst, dass unser aktuelles Gefühl von Verletzung aus dem Bedürfnis herrührt, dass unsere Bemühungen anerkannt werden. Oder wenn wir eine negative Aussage aufnehmen, können wir die Gefühle und Bedürfnisse der anderen wahrnehmen. Dann können wir z.B. fragen: „Bist du verletzt, weil du mehr Interesse für dein Anliegen brauchst?“

A: Ich gebe dir einen Tee!

R: Danke dir! Statt anderen Leuten die Schuld für unsere Gefühle zu geben, akzeptieren wir unsere Verantwortung, indem wir unsere Bedürfnisse, Wünsche, Erwartungen, Werte oder Gedanken erkennen und akzeptieren.

A: Ich glaube, dass Bedürfnisse Offenbarungen des Lebens sind. Unser Bedürfnis nach Nahrung, nach Schutz, nach Unterkunft, nach Sicherheit, nach Verständnis. Unsere Gefühle bestehen aus Bedürfnissen. Wenn ich schmerzhafte Gefühle habe, dann weiss ich, ein Bedürfnis wird gerade nicht erfüllt. Und dann kann ich mir überlegen, was ich unternehmen will, um das Problem zu beheben.

R: Gefühle und Bedürfnisse sind nicht voneinander zu trennen. Bedürfnisse werden durch Gefühle sichtbar und erkennbar.

A: Ich koche mir noch Tee, möchtest du auch Einen?

R: Gerne. Je direkter wir unsere Gefühle mit unseren Bedürfnissen in Verbindung bringen können, desto leichter ist es für andere. Sagt jemand: „Du verstehst mich nie“, dadurch teilt er uns in Wirklichkeit mit, dass sich sein Bedürfnis nach Verständnis nicht erfüllt. Sagt eine Ehefrau: „Du hast diese Woche jeden Abend lange gearbeitet; du liebst deine Arbeit mehr als mich“, dann meint sie damit, dass sich ihr Bedürfnis nach Nähe nicht erfüllt.

A: Ich stelle deinen Tee auf den Tisch und höre dir zu!

R: Der Tee riecht gut, danke. Wenn wir unsere Bedürfnisse indirekt durch Bewertungen, Interpretationen und Vorstellungen ausdrücken, werden andere höchstwahrscheinlich Kritik heraushören. Und wenn Menschen etwas hören, das auch nur entfernt nach Kritik klingt, dann neigen sie dazu, ihre Energie in die Verteidigung oder in einen Gegenangriff zustecken. Wünschen wir uns von anderen Menschen eine einfühlsame Reaktion, dann sabotieren wir diesen Wunsch, wenn wir unsere Bedürfnisse als Interpretationen und Verhaltensdiagnosen der anderen zum Ausdruck bringen. Leider haben die meisten von uns nie gelernt, in Begriffen von Bedürfnissen zu denken. Wenn sich unsere Bedürfnisse nicht erfüllen, dann denken wir automatisch darüber nach, was andere Menschen falsch gemacht haben. Deshalb kritisieren wir vielleicht unsere Kinder als faul, wenn sie die Mäntel nicht in den Schrank hängen. Oder vielleicht interpretieren wir unsere Kollegen als unverantwortlich, weil sie ihre Arbeit nicht so erledigen, wie wir das gerne hätten.

A: Können wir mit Übungen beginnen?

R: Sicher! Bei den Übungen geht es um die Aussagen, in denen die Sprecher/innen Verantwortung für ihre Gefühle übernehmen, indem du deutlich machst, wie die Gefühle mit den eigenen Bedürfnissen verbunden sind.

A: Klingt fair!

R: Der erste Satz: „Ich bin erleichtert, dass du zeitig zurückgekommen bist, weil mir Sicherheit wichtig ist“.

A: Die Sprecherin übernimmt Verantwortung für ihre Gefühle.

R: Der nächste: „Ich fühle mich empört, wenn ich höre, dass du sie beschimpfst, denn ich möchte, dass Menschen einander respektvoll behandeln.“

A: Der Sprecher übernimmt Verantwortung für seine Gefühle.

R: Neuer Satz: „Ich bin begeistert über deinen Bericht“.

A: Um die seinen Gefühlen zugrundeliegenden Bedürfnissen oder Gedanken auszudrücken, hätte der Sprecher sagen können: „Ich bin begeistert über deinen Bericht, weil sich mein Informationsbedürfnis erfüllt“.

R: Noch ein neuer Satz: „Es verletzt mich, wenn du sagst: Das ist mir egal„.

A: Meiner Meinung nach schreibt der Sprecher die Verantwortung für sein Gefühl allein dem Verhalten der anderen Person zu. Wie seine eigenen Bedürfnisse oder Gedanken zur Entstehung der Gefühle beitragen, wird nicht gesagt. Darüber hätte er sich beispielsweise wie folgt äussern können: „Wenn du sagst: Mir ist es egal, fühle ich mich verletzt, weil ich ein Bedürfnis nach Rücksichtnahme habe.“

R: Der neue Satz: „Wenn du zu spät zur Verabredung kommst, fühle ich mich frustriert.“

A: Um die ihren Gefühlen zugrundeliegenden Bedürfnisse oder Gedanken auszudrücken, hätte die Sprecherin sagen können: „Wenn du zu spät zur Verabredung kommst, fühle ich mich frustriert, weil ich das Bedürfnis habe, Zeit sinnvoll zu nutzen.“

R: Noch Einer: „Ich sehe, dass es mir nicht gelungen ist, mich verständlich zu machen. Da fühle ich mich enttäuscht, weil mir viel daran liegt, dass meine Bemühungen einen Sinn haben.“

A: Die Sprecherin übernimmt  Verantwortung für ihre Gefühle.

R: … Satz: „Es irritiert mich, wenn du so etwas tust.“

A: Um die seinen Gefühlen zugrundeliegenden Bedürfnisse oder Gedanken auszudrücken, hätte der Sprecher sagen können: „Es verwirrt mich, wenn du so etwas tust, weil ich gern verstehen möchte, welches Bedürfnis du auf diese Weise zu erfüllen versuchst.“

R: … Satz: „Ich bin dir dankbar dafür, dass du deine Meinung gesagt hast, denn Ehrlichkeit liegt mir sehr am Herzen.“

A: Der Sprecher übernimmt Verantwortung für seine Gefühle.

R: Jetzt achte auf die Unterschiede zwischen den nun folgenden Beschreibungen einer Enttäuschung:

– Sprecher 1. „Du hast mich enttäuscht, weil du gestern Abend nicht gekommen bist“.

– Sprecher 2. „Ich war enttäuscht, als du nicht gekommen bist, weil ich ein paar Dinge mit dir besprechen wollte, die mir Sorgen machen.“

A: Sprecher 1- sucht die Verantwortung für seine Enttäuschung ausschliesslich im Verhalten der anderen Person. Sprecher 2- wird das Gefühl der Enttäuschung auf den eigenen, unerfüllten Wunsch des Sprechers bezogen.

R: Noch zwei weitere Beschreibungen:

– Sprecherin 3. „Dass Sie den Vertrag aufgelöst haben, hat mich sehr irritiert!“

– Sprecherin 4. „Als Sie den Vertrag aufgelöst haben, war ich wirklich irritiert, weil ich fand, dass das sehr unverantwortlich war“.

A: Sprecherin 3 – bezieht ihre Irritation ausschliesslich auf das Verhalten der Gegenseite, während Sprecherin 4 – durch das Zulassen ihrer dahinter liegenden Gedanken die Verantwortung für ihre Gefühle übernimmt. Sie erkennt, dass ihre schuldweisenden Gedanken ihre Irritation ausgelöst haben.

R: Gibt es noch Tee?

A: Ja, ich schenke dir Einen ein!

R: Danke für den Tee!

A: Üben wir noch einige Sätze?

R: Ja, in den folgenden Sätzen geht es um die Aussagen, in der die Person die Verantwortung für seine Gefühle übernimmt. Der erste Satz: „Sie verärgern mich, wenn Sie Firmendokumente auf dem Boden im Konferenzraum liegen lassen“.

A: Für mich drückt diese Feststellung aus, dass allein das Verhalten des anderen verantwortlich ist für die Gefühle des Sprechers. Die Bedürfnisse oder Gedanken des Sprechers, die zu seinen Gefühlen beitragen, werden in die Aussage nicht offenbart. Um das zu tun, kann der Sprecher z.B. sagen: „Wenn Sie Firmendokumente auf dem Boden des Konferenzraum liegen lassen, bin ich verärgert, weil mir wichtig ist, dass interne Vorgänge vertraulich behandeln werden.

R: Noch ein Satz: „Ich bin ärgerlich, wenn Sie das sagen, weil ich Respekt möchte, und ich verstehe Ihre Worte als Beleidigung.“

A: Die Sprecherin übernimmt Verantwortung für ihre Gefühle.

R: …Satz: „Ich bin traurig darüber, dass du nicht zum Essen kommst, weil ich gehofft hatte, wir könnten den Abend zusammen verbringen.

A: Hier übernimmt die Sprecherin Verantwortung für ihre Gefühle.

R: .. Satz: „Ich bin enttäuscht, weil du gesagt hast, du würdest das machen, und du hast es nicht gemacht.“

A: Um die Bedürfnisse oder Gedanken auszudrücken, die seinen Gefühlen zugrunde liegen, hätte der Sprecher z.B. sagen können: «Wenn du sagst, du machst es, und machst es dann doch nicht, bin ich frustriert, weil ich mich gerne auf deine Zusagen verlassen möchte».

R: …Satz: „Ich fühle mich entmutigt, weil ich mit meiner Arbeit gerne weitergekommen wäre, als es jetzt der Fall ist.“

A: Hier hat die Sprecherin Verantwortung für ihre Gefühle übergenommen.

R: .. Satz: „So kleine Bemerkungen, die manchmal jemand fallen lässt, verletzten mich.“

A: Um die Bedürfnisse oder Gedanken auszudrücken, die seinen Gefühlen zugrunde liegen, hätte der Sprecher z.B. sagen können: «Manchmal, wenn jemand so eine kleine Bemerkung fallen lässt, fühle ich mich verletzt, weil ich gerne anerkannt und akzeptiert werden möchte».

R: … Satz: „ Ich bin glücklich, dass Sie diesen Preis bekommen haben.“

A: Um die Bedürfnisse und Gedanken auszudrücken, die ihren Gefühlen zugrunde liegen, hätte die Sprecherin z. B. sagen können: «Als Sie diesen Preis bekommen haben, war ich glücklich, weil ich gehofft habe, dass all die Arbeit, die Sie in das Projekt gesteckt haben, anerkannt wird.»

R: … Satz: „Ich bekomme Angst, wenn du so laut wirst.“

A: Um die Bedürfnisse und Gedanken auszudrücken, die seinen Gefühlen zugrunde liegen, hätte der Sprecher z.B. sagen können: «Wenn du lauter wirst, bekomme ich Angst, weil ich mir dann sage, hier wird vielleicht jemand verletzt, und ich möchte sichergehen, dass wir hier alle gut aufgehoben sind.»

R: Der letzte Satz: „Ich bin dankbar, dass du mich mitgenommen hast, weil ich vor den Kindern zu Hause sein muss.“

A: Die Bedürfnisse des Sprechers, die zu seinen Gefühlen beitragen, kommen dabei nicht klar zum Ausdruck: … „vor den Kindern zu Hause sein muss“ ist eher eine Strategie zur Erfüllung eines Bedürfnisses. Ein Beispiel für das Ausdrücken eines Bedürfnisses könnte lauten: …, «weil mir wichtig ist, dass die Kinder nach der Schule ins Haus können.»

R: In der dritten Komponente der GFK geht darum, was wir brauchen oder schätzen (statt einer Präferenz, einer Vorliebe oder einer spezifischen Handlung), die unsere Gefühle verursachen.

A: Ich bin müde!

R: Ich auch!

A: Dann bis ein anderes Mal!

R: Bis dann!

 

 

 

 

 

Quellen

Rosenberg, Marshall B. Gewaltfreie Kommunikation. Paderborn: Junfermann, 2016.

Rosenberg, Marshall B. Erziehung, die das Leben bereichert. Paderborn: Junfermann, 2007.

Rosenberg, Marshall B. Konflikte lösen durch gewaltfreie Kommunikation. Freiburg im Breisgau: Herder, 2012.