Mit vier Ohren hören – 2

A: Schon haben wir die Wohnung aufgeräumt.

R: Die Wohnung sieht sauber aus.

A: Nun, wir haben die vier Seiten einer Nachricht und zwar Sachinhalt, Selbstoffenbarung, Beziehung sowie Appell diskutiert. Das ist ein Modellstück der zwischenmenschlichen Kommunikation. Ich bereite den Tee zu und höre dir zu!

R: Bei manchen Empfängern ist das auf die Beziehungsseite gerichtete Ohr so gross und überempfindlich, dass sie in viele beziehungsneutrale Nachrichten und Handlungen eine Stellungnahme zu ihrer Person hineinlegen oder übergewichten. Sie beziehen alles auf sich, nehmen alles persönlich, fühlen sich leicht angegriffen und beleidigt. Wenn jemand wütend ist, fühlen sie sich beschuldigt, wenn jemand lacht, fühlen sie sich ausgelacht, wenn jemand guckt, fühlen sie sich kritisch gemustert, wenn jemand wegguckt, fühlen sie sich gemieden und abgelehnt. Sie liegen ständig auf der „Beziehungslauer“.

A: Ich stelle deinen Tee auf den Tisch!

R: Danke für den Tee, er riecht gut!

A: Kannst du noch ein Beispiel machen?

R: Eine Mutter und ihre Tochter stellen das Beispiel dar. Tochter, 16 Jahre, schickt sich an, die Wohnung zu verlassen, um sich mit Freunden zu treffen. Es ergibt sich folgender Dialog:

– Mutter: „Und zieh dir eine Jacke über, ja! – Es ist kalt draussen.“

– Tochter: (in etwas „patzigem“ Tonfall): „Warum denn? Ist doch gar nicht kalt!“

Die Mutter ist nun ein bisschen verärgert; nicht nur über den patzigen Ton, sondern auch über so viel Unvernunft der Tochter, und ist mehr denn je davon überzeugt, dass sie dafür sorgen muss, dass sich die Tochter vernünftig verhält:

– Mutter: „Aber Monika, wir haben nicht einmal 10 Grad, und windig ist es auch.“

– Tochter: (heftig) „Wenn du mal aufs Thermometer geguckt hättest, dann wüsstest du, dass es sehr wohl 10 Grad sind – es sind sogar 11 ½!“

Neben der sachlichen Korrektur steckt in dieser Nachricht auf der Beziehungsseite ein Gegenangriff. Die Mutter ist denn auch sehr verärgert über den „unverschämten“ Ton und über den „Trotz“ und über die kleinliche Rechthaberei der Tochter. Sie beschliesst, der „unfruchtbaren Diskussion“ ein Ende zu setzen:

– Mutter: „Du hörst ja, was ich dir sage: Du ziehst jetzt die Jacke an!“

– Tochter: (Ist stark empört über einen derartigen Befehlston und verlässt in hochgradigem Zorn die Wohnung – natürlich ohne die Jacke.)

A: Möchtest du noch einen Tee?

R: Nein, danke. Warum ist die Kommunikation zwischen der Mutter und der Tochter gescheitert? Warum konnte sich in so kurzer Zeit eine derartige Klimavergiftung einstellen? Würdest du bitte diesen Vorfall mit Hilfe unseres Kommunikationsmodells analysieren?

A: Die erste Äusserung der Mutter, von der das Gespräch seinen Ausgang nimmt, enthält auf den vier Seiten etwa folgende Botschaften:

– Sachinhalt: Es ist kalt draussen.

– Selbstoffenbarung: Ich bin um deine Gesundheit besorgt.

– Beziehung: Allein wirst du die richtige Entscheidung nicht treffen können.

– Appell: Zieh eine Jacke an.

R: Wie reagiert nun die Tochter auf dieses Nachrichten-Paket? Ich bereite den Kaffee zu!

A: Die Tochter fühlt sich „wie ein kleines Kind“ behandelt und reagiert sehr allergisch auf die bevormundende Behütung durch die Mutter. Wichtig ist: Die Ablehnung der Tochter richtet sich gegen die Botschaft auf der Beziehungsseite, nicht gegen den Sachinhalt und vielleicht auch gar nicht einmal gegen den Appell (möglicherweise hatte die Tochter selbst vor, die Jacke anzuziehen).

R: Der Kaffee ist bereit, ich stelle ihn auf den Tisch und höre zu!

A: Danke für den Kaffee. Reagieren aber tut die Tochter auf den Sachinhalt – hier widerspricht sie („ist doch gar nicht kalt“). Nun wurde der Konflikt dort ausgetragen, wo er überhaupt nicht vorhanden war, nämlich auf der Sachebene. Es wurde über Temperaturen verhandelt, während es doch in Wahrheit um die Beziehung zwischen Mutter und Tochter ging.

R: Die Tochter könnte auch anders reagieren. Zum Beispiel: „Ich finde deinen Vorschlag nicht verkehrt, aber hör auf, mir solche Anweisungen zu geben; ich fühle mich dann wie ein kleines Kind behandelt“.

A: Die Mutter könnte sich auch anders ausdrücken. Zum Beispiel: „Mein Liebling, nimm bitte deine Jacke mit, draussen ist es kalt und es wird spätabends noch kälter; du möchtest doch auch nicht erkältet werden.“

R: Die Nachricht, so haben wir gesehen, „hat es in sich“: Eine Vielfalt von Botschaften auf allen vier Seiten steckt darin, teils explizit (ausdrücklich formuliert), teils implizit (ohne dass es direkt gesagt wird, steckt es doch drin oder kann zumindest „hineingelegt“ werden), teils absichtlich vom Sender hineingetan, teils unabsichtlich mit „hineingerutscht“. Dieses ganze Paket kommt nun beim Empfänger an. Aber im Unterschied zu Paketen, die mit der Post ankommen, ist der empfangene Inhalt hier nicht gleich dem abgesendeten Inhalt. Wir haben gesehen, was der Empfänger allein schon dadurch mit der Nachricht alles machen kann, dass er seine vier Ohren in unterschiedlich starkem Masse auf Empfang schaltet.

A: Möchtest du ein Glas Wasser?

R: Ja, gerne!

A: Hier ist dein Wasser. Es scheint, dass eine Nachricht zu entschlüsseln, ein Machwerk des Empfängers ist!

R: Bestimmt, oft kommt es vor, dass der Empfänger einige Seiten der Nachricht in den „falschen Hals“ kriegen könnte!

A: Was meinst du damit?

R: Das folgende Beispiel illustriert, wie gesendete und empfangene Nachricht völlig unterschiedlich ausfallen können.

A: Ich bin ganz Ohr!

R: Ein Ehepaar sitzt beim Mittagessen. Der Mann fragt: „Was ist denn das Grüne hier in der Sosse?“. Die Frau antwortet: „Mein Gott, wenn es dir hier nicht schmeckt, kannst du ja woanders essen gehen!“

A: Dieses Beispiel beinhaltet einen Konflikt!

R: Klar, aber nehmen wir an, der Mann habe eine reine Informationsfrage stellen wollen (Kapern sind ihm unbekannt). Kannst du den geschilderten Vorfall analysieren, indem du die gesendete und empfangene Nachricht einander gegenüberstellst?

A: Der Mann, der die Nachricht sendet, sagt: „Was ist denn das Grüne hier in der Sosse?“

– Sachinhalt: Da ist was Grünes.

– Selbstoffenbarung: Ich weiss nicht, was es ist.

– Beziehung: Du wirst es wissen.

– Appell: Sag mir, was es ist.

Die Frau, die die Nachricht empfängt, hört: „Was ist denn das Grüne hier in der Sosse?“

– Sachinhalt: Da ist was Grünes.

– Selbstoffenbarung: Mir schmeckt das nicht.

– Beziehung: Du bist eine Miese Köchin!

– Appell: Lass nächstes Mal das Grüne weg!

R: Reagieren konnte die Frau natürlich nur auf die empfangene Nachricht. Da ihre Antwort auf den Beziehungsteil der Nachricht war, wird das Missverständnis sofort offenbar und damit auch prinzipiell reparabel.

A: Anders wäre es gewesen, wenn die Frau innerlich wütend und verletzt, aber dennoch bemüht, sachlich zu bleiben – knapp geantwortet hätte: „Das sind Kapern.“ Weder für den Mann noch für die Frau noch für einen Aussenstehenden wäre offenkundig, dass sich hier ein Missverständnis ereignet hat. Vielleicht hätte der Mann nach einiger Zeit merken können, dass seine Frau verstimmt ist. Dann wird er vielleicht fragen: „Ist irgendetwas?“ Und es besteht so noch eine Chance zur nachträglichen Kommunikation.

R: Missverständnisse sind das Natürlichste von der Welt, sie ergeben sich fast zwangsläufig schon aus der Quadratur der Nachricht. Sender und Empfänger sollten daher beim Aufdecken und Besprechen von Missverständnissen nicht davon ausgehen, dass sich eine peinliche Panne ereignet hat, für die man den Nachweis der eigenen Schuldlosigkeit erbringen sollte. Wer „recht hat“ ist weder eine entscheidbare noch eine wichtige Frage. Es stimmt eben beides: Der eine hat dieses gesagt, der andere jenes gehört.

A: Weisst du was, wir müssen die Wäsche machen und das Treppenhaus putzen.

R: Ich habe schon vergessen, dass wir noch nicht mit dem Haushalt fertig sind.

A: Ich werde das Treppenhaus putzen.

R: Und ich kümmer mich um die Wäsche.

A: Später machen wir weiter!

R: Auf jeden Fall.

 

 

 

 

Quellen

Schulz von Thun, Friedemann. miteinander reden 1. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2007.