A: Ich bin mit dem Putzen des Treppenhauses fertig.
R: Ich habe die Wäsche schon aufgehängt.
A: Prima, ich habe eine Frage?
R: Was ist deine Frage?
A: Wie entstehen die Missverständnisse in der menschlichen Kommunikation?
R: Ein Missverständnis wird durch das Bild, das der Empfänger vom Sender hat, hervorgerufen. Zum Beispiel: „Ich weiss, wie er es gemeint hat, denn ich kenne ihn.“ – Je besser wir jemanden kennen, desto leichter ist es offenbar, das Gemeinte im Geäusserten zu entdecken. Oft gründet sich das Bild vom anderen auf einer relativ geringen Informationsbasis. Auf Grund der Kleidung, des Geschlechtes, des Alters und einiger Lebensäusserungen neigen wir dazu, das unvollständige Bild zu ergänzen. Die wenigen Informationen verraten uns, in welche „Schublade“ wir ihn tun sollen, und diese Schublade enthält ergänzende Informationen und Vermutungen, so dass sich das Bild vervollständigt.
A: Ich koche mir einen Tee, möchtest du auch einen?
R: Ja, gerne. Das so entstandene Bild vom anderen liefert mir den Schlüssel für die Interpretation seiner Nachrichten. Ich weiss, wie es gemeint ist, denn ich kenne ja (scheinbar) meine Pappenheimer.
A: Dein Tee ist bereit, ich stelle ihn auf den Tisch, würdest du bitte ein Beispiel machen?
R: Danke für den Tee. Ein Lehrer fragte auf einer Klassenreise einen seiner Schüler, der ihm während der Freizeit begegnet: „Woher kommst du denn?“ – Vom Lehrer war diese Frage teilnahmsvoll und freundlich gemeint und als Einleitung für eine entspannte Unterhaltung gedacht.
A: Für einen Schüler ist diese Frage heikel und sie könnte gefährlich sein!
R: Ja, klar, weil wir beide einmal Schüler waren. Vermutlich hätte der Schüler die Frage auch so verstanden, wenn sie von einem Mitschüler gestellt worden wäre. Nun aber funkte durch sein Gehirn: „Das ist der Lehrer – ein Erwachsener!“ Und er empfängt die Nachricht auf folgende Weise:
– Sachinhalt: Du warst woanders.
– Selbstoffenbarung: Ich bin ein Kontrolleur.
– Beziehung: Du stehst im Verdacht…
– Appell: Gestehe!
A: In meiner Schulzeit hätte ich auch die Nachricht des Lehrers so empfangen, wie der Schüler in diesem Beispiel!
R: Auf Grund seiner Erfahrung mit Erwachsenen und Erziehern war der Schüler es gewöhnt, dass derartige Fragen inquisitorisch und kontrollierend gemeint sind und in der Regel Kritik und Verbote nach sich ziehen. Entsprechend misstrauisch und „gewappnet“ fragt der Schüler zurück: „Wieso?“ – Resigniert dachte der Lehrer: „ich komme einfach nicht heran an den Burschen!“
A: Ein informatives Beispiel. Ich schenke dir ein Glas Wasser ein, du hast sicher Durst!
R: Danke, ich bin schon durstig. Nun, korrelierte Botschaften können auch viele Missverständnisse verursachen.
A: Bitte erzähle weiter, ich höre gerne zu!
R: Eben, subtile Missverständnisse entstehen gelegentlich dadurch, dass der Empfänger die Botschaft auf einer Seite der Nachricht korrekt empfängt, gleichzeitig aber auf den anderen Seiten die Nachricht weitere Botschaften mithört, welche mit der Kernbotschaft häufig gekoppelt sind (korrelierte Botschaften). Mit einer Aufforderung (Kernbotschaft) ist häufig ein Versäumnis-Tadel (korrelierte Botschaft auf der Beziehungsseite) verbunden. Der Appell „würdest du bitte dein Zimmer aufräumen!“ hat häufig den Vorwurf im Schlepptau „Du hättest schon längst…“ Dies ist ein Grund, warum Empfänger häufig so gereizt auf Appelle reagieren.
A: Kannst du einige Beispiele machen?
R: Ein Student sass in der U-Bahn neben einer Dame, die einen Hund bei sich führte. Der Hund schnupperte an den Beinen des Studenten und drohte wohl auch zu lecken. Der Student war dagegen empfindlich und sagte zu der Frau: „Bitte halten Sie ihren Hund von mir fern!“
A: Wie reagierte die Frau auf die Nachricht des Studenten?
R: Die Frau war sehr empört. Mit welchem Ohr hat die Frau die Botschaft des Studenten gehört?
A: Die Frau hatte sicher auf der Beziehungsseite mitgehört. Wahrscheinlich hörte sie: „Wie können Sie nur rücksichtlos sein und den Hund in meiner Nähe lassen“. Die Frau empfindet Vorwürfe und Kritik. Hier handelt es sich um eine korrelierte Beziehungsbotschaft bei einer Aufforderung.
R: Ein anderes Beispiel: Negative Gefühle (als Kernbotschaft auf der Selbstoffenbarungsseite), die durch das Verhalten des andern ausgelöst worden sind, treten häufig gekoppelt auf mit einer Täterschafts-Zuweisung auf der Beziehungsseite: „Ich habe mich über dich geärgert“ (= „und du hast mir das angetan, du Böser!“).
A: Diese Koppelung ist so geläufig, dass der Empfänger diese Täterschaftszuweisung auf der Beziehungsseite fast automatisch auch dann mithört, wenn sie nicht gemeint ist.
R: Genau, wie dieser Satz: „Ich war traurig, dass du nicht gekommen bist!“. Dies mag ohne jeden Vorwurf als blosse Selbstoffenbarung gemeint sein. Könnte der Empfänger dieses entsprechend mit dem Selbstoffenbarungs-Ohr empfangen, könnte er darauf liebevoll und akzeptierend eingehen. Da er aber die korrelierte Botschaft mithört: „Wie könntest du mir das antun?“, reagiert er gereizt und defensiv („Ja, mein Gott, mein Leben besteht doch nicht nur aus Freizeit – wie denkst du das denn eigentlich?).
A: Hier handelt es sich um eine Zuweisung einer Täterschaft als korrelierte Beziehungsbotschaft bei negativer Gefühlsoffenbarung.
R: Ein letztes Beispiel: Häufig ist an negative Gefühlsäusserungen auch der Appell gekoppelt: „Tu etwas dagegen, schaff Abhilfe!“ „Ich fühle mich so allein“ hat häufig die Aufforderung „Geh nicht weg“ im Schlepptau. Entsprechend fühlt sich der Empfänger bei negativem Gefühlsausdruck häufig aufgefordert, einen Rat zu geben oder Abhilfe zu schaffen. Wenn ihn dies aber überfordert, reagiert er leicht ablehnend oder mit billigen Tröstungen („Ist doch Unsinn – ist doch alles nicht so schlimm!“). Hier hindert ihn der vermeintliche Appell-Druck, mit seinem Selbstoffenbarungs-Ohr „aktiv zuzuhören“. Der korrelierte Appell lautet nämlich häufig gar nicht: „Schaff Abhilfe!“, sondern: „Hör mir zu!“
A: Hier handelt es sich um den vermeintlichen Schaff-Abhilfe-Appell als korrelierte Botschaft zur negativen Gefühlsoffenbarung.
R: Ich habe Durst und möchte einen Schluck Wasser trinken, willst du auch einen?
A: Ja, gerne!
R: Hier ist dein Wasser!
A: Danke, ich habe jetzt noch eine Frage?
R: Was ist deine Frage?
A: Wie kann man Missverständnisse vermeiden?
R: Auf Grund derartiger Korrelationen, die wir vorher besprochen haben, ist die Vermeidung der Missverständnisse nicht einfach. Der Sender und der Empfänger brauchen eine Metakommunikation. Ohne diese wird es nicht möglich sein, um eine Verständigung zu erlangen.
A: Was ist Metakommunikation?
R: Ich kann die Metakommunikation anhand eines Beispiels erklären: „Wenn ich sage, ich bin enttäuscht, dann meine ich damit nicht, du wärst schuld daran. Ich möchte nur sagen, was mit mir im Augenblick los ist.“ Nach einer mehrmaligen derartigen Metakommunikation können es die Sender und Empfänger zuweilen schaffen, die geläufige Korrelation zu sprengen. Dann ist es möglich, dass der eine seine Gefühle ausdrückt, ohne dass der andere mit empfindlich gespitztem Beziehungs-Ohr zuhören muss.
A: Ich fasse kurz zusammen. Alle vier Seiten einer Nachricht sind immer gleichzeitig im Spiel. Der Empfänger versucht den Sachinhalt zu verstehen. Sobald der Empfänger die Nachricht auf die Selbstoffenbarungsseite hinkriegt, ist er personaldiagnostisch tätig („Was ist das für eine(r)?“ bzw. „Was ist im Augenblick los mit ihm/ihr?“). Durch die Beziehungsseite ist der Empfänger persönlich besonders betroffen („Wie steht der Sender zu mir, was hält er von mir, wen glaubt er vor sich zu haben, wie fühle ich mich behandelt?“). Die Auswertung der Appellseite schliesslich geschieht unter der Fragestellung „Wo will er mich hinhaben?“ bzw. in Hinblick auf die Informationsnutzung („Was sollte ich am besten tun, nachdem ich dies nun weiss?“).
R: „Man kann nicht nicht kommunizieren.“ Dieses „Grundgesetz“ der Kommunikation ruft uns in Erinnerung, dass jedes Verhalten Mitteilungscharakter hat. Jedes Schweigen ist „beredt“ und stellt eine Nachricht mit mindestens drei Seiten dar. Angenommen, ich betrete ein Zugabteil. Jemand sitzt darin, und ich begrüsse ihn mit einer freundlichen Bemerkung. Er reagiert nicht und liest weiter seine Zeitung.
A: Ich glaube, wir haben genug diskutiert!
R: Finde ich auch!
A: Machen wir Schluss!
R: Das machen wir!
Quellen
Schulz von Thun, Friedemann. miteinander reden 1. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2007.