A: Guten Morgen!
R: Guten Morgen, du siehst müde aus!
A: Ich habe nicht richtig schlafen können.
R: Setz dich hin, ich gebe dir einen frischen Tee!
A: Danke, der Tee riecht gut!
R: Trinke und entspanne dich!
…
…
R: Hast du geträumt?
A: Nein, im Bett bin ich einige Male aufgewacht und danach konnte nicht richtig schlafen. Ich war wach und gleichzeitig vom Schlaf berauscht.
R: Möchtest du noch einen Tee?
A: Sehr gerne, danke.
R: Wie läuft es bei der Arbeit?
A: Der Chef ist chaotisch, unordentlich. Ich ärgere mich über ihn.
R: Um welche Zeit gehst du heute zur Arbeit?
A: Gegen 14 Uhr!
R: Es ist erst 9 Uhr. Ich gebe dir einen Kugelschreiber und einen Papierblock. Ich habe letzte Woche einen Workshop zum Thema „Methoden zum Verarbeiten der negativen Emotionen“ besucht.
A: Was soll ich mit dem Kugelschreiber und dem Papier anstellen?
R: Ich sage es dir später. Nun, im Leben gibt es Gefühle und Emotionen, die uns nicht gehören, sie werden in uns durch die Umwelt wach gerufen. Diese Gefühle und Emotionen entstehen in Austausch mit der Welt. Sie kommen nicht aus uns selbst heraus, sondern sie werden durch die Begebenheiten unserer Umwelt in uns ausgelöst. Unsere Fähigkeit besteht darin, diese Art von Emotionen zu fühlen, zu identifizieren und sie freizusetzen. Es existieren zwölf grundlegende negative Emotionen: Zorn, Trauer, Furcht, Bedauern, Frustration, Enttäuschung, Besorgnis, Verlegenheit, Eifersucht, Verletzlichkeit, Panik und Scham.
A: Möchtest du noch einen Tee?
R: Auf jeden Fall, besten Dank!
A: Ich schenke dir Einen ein, höre dir zu und mache mir Notizen!
R: Der Tee schmeckt mir gut. Eben, unser Leben basiert auf dem Austausch unseres Geistes mit der Umgebung, mit der Welt. Zur Verarbeitung von negativen Emotionen genügt es, sie zu spüren und zu identifizieren. Ich stelle die negativen Emotionen in den Sätzen dar:
- Du bist zornig
- Du bist traurig
- Du hast Befürchtungen
- Du fühlst Bedauern
- Du bist frustriert
- Du bist enttäuscht
- Du machst dir Sorgen
- Es ist dir peinlich
- Du bist eifersüchtig
- Du bist verletzt
- Du fühlst dich ängstlich
- Du schämst dich
A: Das sind viele Emotionen!
R: Zuerst musst du herausfinden, welche Emotionen deinen gegenwärtigen Empfindungen entsprechen. Wenn du sie findest und spürst, was du hast, dann wechselst du deine Aufmerksamkeit zu einer anderen Emotion. Wenn du das Gefühl hast, von deinem Zorn nicht loszukommen, dann musst du dir Zeit dafür nehmen, zu fühlen und auszudrücken, worüber du zornig bist und dich dann fragen, worüber du traurig bist. Zorn ist normalerweise eine Reaktion auf etwas; was geschehen ist, Trauer eine Reaktion auf etwas, was nicht geschehen ist. So wirst du sofort von deinen Gefühlen des Zorns befreit. Wendest du dir einem anderen Gefühl zu, gelangst du dadurch immer weiter in die Tiefe. Näherst du dich der Mitte der Liste, fühlst du dich schon besser. Kannst du dich von deiner Trauer nicht lösen, dann solltest du zu einer Empfindung der Befürchtungen übergehen. Bist auf etwas fixiert, das nicht geschehen ist, dann ist die Ursache darin zu suchen, dass du auf einer tieferen Ebene Befürchtungen bezüglich eines Ereignisses hast, das eintreten könnte. Furcht ist üblicherweise die Reaktion auf etwas Unerwünschtes, das eintreten könnte. Gehst du so weiter die negativen Gefühle durch, erfährst du eine dramatische Verlagerung und Erleichterung.
A: Ich habe Durst und muss unbedingt Wasser trinken, möchtest du auch Wasser?
R: Gerne, ich bin auch durstig.
A: Ich glaube dir, hier ist ein Glas Wasser.
R: Danke dir.
A: Noch einen Tee?
R: Ich trinke gerne noch einen Tee, danke!
A: Ich stelle ihn auf den Tisch, setze mich hin und höre dir zu.
R: Manchmal muss man zwei oder drei Ebenen tiefer gehen, bevor eine vollständige Freisetzung eintritt. Ich gehe grundsätzlich drei Stufen tiefer, sofern nicht schon vorher die Auflösung eintritt. Fühle ich mich zum Beispiel zornig, schreibe ich zuerst die Empfindungen des Zorns auf und gehe dann zur Trauer über. Dann folgt der Übergang zur Furcht und schliesslich ein dritter Übergang zum Bedauern. Manchmal bin ich mir nicht sicher, wo ich beginnen soll. In diesem Fall fasse ich die negativen Emotionen in folgende vier Gruppen:
Erste Ebene: «Ich empfinde Zorn, Frustration oder Eifersucht.»
Zweite Ebene: «Ich empfinde Trauer, Enttäuschung oder Verletztheit.»
Dritte Ebene: «Ich habe Befürchtungen, mache mir Sorgen oder fühle mich ängstlich.»
Vierte Ebene: «Ich empfinde Bedauern, Verlegenheit oder Scham.»
Wenn sehr viele Gefühle zutreffen, beginne ich einfach irgendwo. Kann ich mich wirklich nicht entscheiden, dann beginne ich auf der dritten Ebene mit: «Ich befürchte, dass ich die falsche Ebene auswählen werde.» Ich schreibe einige Minuten über diese Ebene und gehe zur nächsttieferen Ebene über. Beginne ich auf der vierten Ebene und erkunde dort Empfindungen des Bedauerns, der Verlegenheit oder der Scham, dann gehe zur ersten Ebene über. Indem ich in dieser Weise wiederum von einer Ebene negativer Emotionen zur anderen wechsle, tritt schliesslich die Auflösung ein und ich fühle mich positiver und liebvoller.
A: Die Liste der negativen Emotionen ist interessant und sie scheint nützlich und umsetzbar zu sein, aber ich ärgere mich immer noch über meinen Chef!
R: Ich verstehe!
A: Was verstehst du?
R: Nehme dir einige Minuten Zeit, um deine Gefühle aufzuschreiben, wenn du dich über irgendetwas ärgerst. Du kannst an deinen negativen Emotionen arbeiten, indem du deren Inhalte veränderst. Wenn du eine Empfindung hast, die in keinem angemessenen Verhältnis zu dem zu stehen scheint, worüber du dich ärgerst, dann änderst du einfach den Inhalt. Ärgerst du dich über deinen Chef und kannst du diesen Ärger nicht loslassen, dann solltest du eine Liste mit all den Dingen zusammenzustellen, über die du dich vielleicht insgeheim ärgerst. Wenn man festgefahren ist, ist man nicht von seinen negativen Gefühlen getrennt, sondern man blickt auch in die falsche Richtung. Vielleicht glaubt man, sich über jemanden zu ärgern, während man sich in Wirklichkeit über sich selbst ärgert oder sich über irgendetwas am Arbeitsplatz Sorgen macht. Gelingt es nicht, sich von einer bestimmten Emotion zu befreien, dann ist es in den meisten Fällen notwendig, seine Emotionen auf etwas anderes zu richten, das einen belastet. Kannst du dich nicht vom Ärger über deinen Chef lösen, dann solltest du dich fragen, über wen oder was du dich sonst ärgerst. Dadurch entdeckst du vielleicht, dass du in Wirklichkeit deshalb gereizt bist, weil du bezüglich eines ganz anderen Projekts unter Termindruck geraten bist.
Verändert man den Inhalt seines Ärgers, hat man zwar das Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein, aber der Ärger ist dadurch noch nicht aufgelöst. Dann wechselt man einfach zur Liste der negativen Emotionen und ändert damit die Emotion, indem man sich fragt, worüber man traurig oder enttäuscht ist. Spürt man seine Trauer oder Enttäuschungen, wird der Zorn automatisch weniger und es stellt sich Verständnis ein. Mehr Verständnis lässt wiederum offener und nachsichtiger denken. Dadurch fühlt man sich besser und die Negativität ist schon weitgehend verschwunden. Die Einstellung ändert sich in dem Masse, wie man das Vertrauen gewinnt, eine Lösung finden zu können. Man nimmt dadurch wieder besser wahr, was in Ordnung ist, und bleibt weniger auf das fixiert, was nicht stimmt.
A: Ich gebe dir ein Glas Wasser!
R: Danke, das ist nett von dir!
A: Ich ärgere mich immer noch über ihn!
R: Wenn du dich immer noch über deinen Chef ärgerst, hast du immer noch eine Möglichkeit, die darin besteht, sich in eine andere Zeit zu versetzen. Ärgerst du dich über etwas und kannst diese Empfindung noch nicht auflösen, solltest du dich an eine Zeit in deinem Leben erinnern, zu der du ähnliche Empfindungen hattest.
Manchmal werden die gegenwärtigen Empfindungen durch Wunden der Vergangenheit verschärft. Wenn man eine Verbindung zwischen den gegenwärtigen und den früheren Empfindungen herstellt, kann man solche Emotionen verarbeiten. Man versetzt sich in die Vergangenheit zurück und erhält so die Möglichkeit, die Verletzung zu spüren, zu identifizieren und auszudrücken, indem man sie aufschreibt. Es ist immer einfacher, die Vergangenheit zu verarbeiten als die Gegenwart. Wenn man jetzt vor etwas Angst hat, weiss man nicht, wie es ausgehen wird. Blickt man dagegen in die Vergangenheit zurück, kann man sich immer vergewissern, dass alles gut gegangen ist. Selbst wenn man in der Vergangenheit nicht die Unterstützung bekam, die man brauchte, kann man sich jetzt vorstellen, dass man sie bekommt. In dieser Weise kann man die Wunden der Vergangenheit heilen.
Ist man in der Gegenwart zornig, fällt es schwer, sich zu fügen und loszulassen. Denn meist glaubt man, zornig sein zu müssen, damit etwas geschieht. Ist man in der Gegenwart traurig über einen Verlust, hat man noch nicht die Erfahrung gemacht, dass die Zukunft Erleichterung bringen wird. Ist man in der Gegenwart ängstlich, weiss man nicht, was in der Zukunft geschehen wird. Aber wenn man den Blick zurückwendet und sich an Situationen erinnert, in denen man Furcht empfand, dann erinnert man sich auch daran, dass alles nicht so schlimm war, wie man es sich vorstellte und alles doch in Ordnung kam. Dieser Blick zurück hilft, Negativität aufzulösen.
Manchmal ist es auch sinnvoll, zur Verarbeitung seiner Gefühle nicht in die Vergangenheit, sondern in die Zukunft zu schauen. Man stellt sich einfach vor, dass das, was jetzt geschieht, noch schlimmer wird. Alles, worüber man sich jetzt ärgert, geht weiter. Die allerschlimmsten Befürchtungen bewahrheiten sich. Man versetzt sich in die Zukunft, in der man diese Erfahrung hat und betrachtet seine Gefühle. Durch diese kleine Veränderung der Perspektive kann man einen geeigneten Kontext schaffen, der die Gefühle an die Oberfläche kommen lässt. Nun versucht man, diese negativen Emotionen mit der Vergangenheit zu verknüpfen, und verarbeitet sie mit der Liste der negativen Emotionen.
A: Bist du durstig, soll ich dir ein Glas Wasser geben?
R: Ja, ich habe Durst!
A: Hier ist dein Wasser.
R: Danke für das Wasser! Ärgerst du dich immer noch über deinen Chef?
A: Ich weiss es nicht. Ich habe Hunger und möchte mal essen, bevor ich zur Arbeit gehe.
R: Dann Guten Appetit und einen schönen Arbeitstag noch!
A: Das wünsche dir auch!
Quellen
Gray, John. „So bekommst du, was du willst, und willst, was du hast“. München; Wihlem Goldmann, 2000