Zeitbezogene Gefühle

A: Kannst du bitte das Fenster schliessen, mir ist kalt.

R: Ich schliesse das Fenster, denn du hast kalt. Tatsächlich beschreibst du ein Gefühl, dass du gerade in diesem Moment hast. Ist das nicht so?

A: Doch, es ist so, was ist ein Gefühl? Was sind die Gefühle?

R: Ich halte ein Gefühl für das, was gefühlt wird. So habe ich Hunger, bin ärgerlich, habe Durst oder bin müde. Es wird einfach festgestellt, was da ist. Ein Gefühl ist vielseitig, es geht um Aufnehmen, Überzeugung, Glaube und Wahrnehmung. Wir haben viele Gefühle, aber ich kenne nicht alle. Einige von denen, dir wir gut kennen, sind: Angst, Trauer, Enttäuschung, Neid, Verliebtsein, Freude, Lust, Neugierde.

A: Ich koche Tee, trinkst du auch?

R: Ja,… !

A: Erzähle weiter!

R: Das Wort Gefühl bedeutet den ganz allgemeinen Aspekt des Sich-Anfühlens und Erlebens. Man könnte Gefühle als eine Art Wahrnehmung darstellen, die den Sinneswahrnehmungen, dem Vorstellen, Erinnern und Denken benachbart ist. Der Erlebnischarakter ist bei Gefühlen allerdings stärker als bei der Wahrnehmung und den kognitiven Zuständen; wir können in der Regel zwischen Gefühlen und den anderen Erlebniszuständen gut unterscheiden. Eine Wahrnehmung kann nämlich ganz neutral sein. Dies gilt auch für eine Vorstellung, eine Erinnerung oder einen Gedanken. Wahrnehmungen sind meist detailreich und wechseln schnell. Gedanken, Vorstellungen und Erinnerungen dagegen sind oft wenig detailreich, haben aber einen konkreten, benennbaren Inhalt. Gefühle dagegen sind typischerweise gegenstandsarm und unpräzise. Sie kommen bei uns zu Wahrnehmungen, Vorstellungen und Gedanken deutlich spürbar hinzu. Dieselbe Wahrnehmung oder Vorstellung und derselbe Gedanke rufen manchmal völlig unterschiedliche Gefühle in uns hervor. Besonders intensiv ist die Verbindung zwischen Erinnerung und Gefühlen.

A: Was ist der Inhalt eines Gefühls?

R: Die Beschaffenheit, sprich die Qualität eines Gefühls ist verbunden mit dem Geben von Sinn und Bedeutung. Wir sind diejenigen, die eine Sache oder Situation bewerten. Die Beurteilungszentrale, in der die Etiketten „gut“ oder „schlecht“ aufgeklebt werden, ist davon abhängig, dass wir einem Erlebnis oder einem Ereignis Sinn und Bedeutung verleihen. Vielmehr sagt uns ein Gefühl, was in uns aufkommt, was gut oder schlecht daran ist. Die Definition eines Gefühls, welches in uns existiert oder ausgelöst wird, beruht entweder auf Gier (ich werde gefallen, haben wollen) oder auf Ablehnung (ich werde schaden, vermeiden wollen). Wir erzeugen unser Gefühl selbst, sei es bewusst oder unbewusst, angenehm oder unangenehm.

A: Das heisst, wir können uns ein Leben ohne Gefühle nicht vorstellen. Ich glaube, dass die Gefühle uns ergreifen, sie packen und schütteln uns.

R: Charakteristisch für Gefühle ist auch, dass sie mit deutlichen körperlichen Empfindungen einhergehen und dass sie unser Verhalten beeinflussen. Das Herz hüpft vor Freude. Wir lassen traurig die Schultern hängen. Beim Gedanken an die morgige Prüfung oder an ein unangenehmes Gespräch mit dem Vorgesetzten verspüren wir ein flaues Gefühl in der Magengegend. Die Gefühle sind überall, wo wir sind, sie sind lediglich eine Art des Ausdrucks, die je nach Situation gewählt werden wird. Die Gefühle steuern unser Verhalten, Erlebnisse und körperliche Empfindungen. Einige Gefühle führen zum angemessen Mittel zur Lösung von Problemen im Hier und Jetzt.

A: Was meinst du damit?

R: Wenn ich hungrig bin, esse ich etwas, wenn ich durstig bin, trinke ich Wasser. Wenn es mir kalt ist, ziehe ich etwas Warmes an. Wenn ich müde bin, dann ruhe ich mich aus. Wenn ich stinke, dusche ich. Ich löse das, was ich als Problem oder Empfindung wahrnehme. In diesem Sinne besitzen Angst, Wut und Trauer einen anderen Stellenwert.

A: Wieso?

R: Weil wir durch diese Gefühle mit der Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit verbunden sind.

A: Ich bringe den Tee und stelle ihn auf den Tisch, Zucker und Milch stehen schon bereit. Wie funktionieren diese zeitbezogenen Gefühle?

R: Danke für den Tee. Wenn ich Angst als echtes Gefühl empfinde und mich in irgendeiner Weise so verhalte, dass ich diese Empfindung ausdrücke, stellt das einen Beitrag zur Lösung eines Problems dar, welches ich in der Zukunft auf mich zukommen sehe. Natürlich kann diese Zukunft äusserst nah bevorstehen. Ich überquere z. B. eine Strasse, habe mich vorher überzeugt, dass alles frei ist und sehe plötzlich wie ein Wagen aus einer Seitenstrasse mit stark überhöhter Geschwindigkeit herausgeschossen kommt, ins Schleudern gerät und nun auf mich zurast. Vor lauter Schreck springe ich blitzartig zur Seite. Ich habe ein Ereignis in der Zukunft vermieden, nämlich überfahren zu werden.

Echte Wut dient dazu, ein Problem in der Gegenwart zu lösen. Vielleicht stehe ich im Kaufhaus in der Schlange: Eine Person versucht, sich vorzudrängen und schiebt mich mit ihrem Einkaufskorb beiseite. Wenn ich meinen Ärger jetzt ausdrücke, reagiere ich angemessen, um in der Gegenwart für meine Belange zu sorgen. Ich schiebe sie mit der gleichen Kraft zurück und fauche sie an: „Ich war vor Ihnen! Sie können sich genau so anstellen wie alle anderen.“

Wenn ich echt traurig bin, dann helfe ich mir damit, ein schmerzliches Ereignis zu überwinden, das in der Vergangenheit geschehen ist. Dabei wird es sich um irgendeinen Verlust handeln, von etwas, das ich nie wiederbekommen werde oder von jemandem, den ich nie wiedersehen werde. Wenn ich mir gestatte, offen traurig zu sein, eine Zeitlang zu weinen und mir meinen Verlust von dem Geist zu reden, befreie ich mich von dem vergangenen Schmerz. Ich gehe mit der Situation sinnvoll um und nehme Abschied. Dadurch werde ich bereit sein, weiterzuleben und zuzugehen auf alles, was die Gegenwart oder die Zukunft mir bringen mögen.

A: Interessant!

R: Immer wenn du anfängst Angst, Wut oder Trauer ausserhalb des jeweils angemessenen Zeitbezugs zu empfinden, solltest du wissen, dass deine Empfindung kein realistisch zeitbezogenes Gefühl ist. Der Ausdruck eines realistisch zeitbezogenen Gefühls ist ein angemessenes Mittel zur Lösung von Problemen im Hier und Jetzt.

A: Hat dir der Tee geschmeckt?

R: Ja, der war gut, danke.

A: Ich habe eine Frage?

R: Was ist deine Frage?

A: Was ist Emotion?

R: Emotion ist eine Bewegung von innen nach aussen. Es geht um Ausdruck, Handlung und auch um Beurteilung. Emotion ist eine Beurteilung dessen, was gefühlt wird; der Tee ist heiss, das Essen ist kalt, das ärgert mich. Die emotionale Bewertung ist nicht, was in der Sache selbst begründet ist, sondern etwas, was vom Menschen kommt, der eine Sache fühlt und diese beurteilt. Nicht alle mögen heissen Tee, und was im Winter positive Emotionen von Wohlbefinden und Wärme schafft, kann im Sommer einfach zu viel an Wärme sein, ein kaltes Getränk ist dann willkommener und angenehmer.

A: Ich fühle Emotionen!

R: Deshalb sind die Emotionen die unmittelbaren Folgen der Gefühle. Wörtlich bedeutet Emotion nach aussen bewegend und weisst darauf hin, dass mein Körper für die Reaktion auf ein Ereignis vorbereitet wird und er gleichzeitig meiner Umgebung signalisiert, wie es mir geht, wie es in mir aussieht. In diesem Sinne bedeutet die Emotion von etwas ergriffen sein, was wiederum ein starkes Gefühl darstellt. Emotionen greifen in die bewusste Verhaltensplanung und Verhaltenssteuerung ein, indem sie bei der Handlungsauswahl mitwirken und bestimmte Verhaltensweisen hervorbringen.

A: Bald muss ich arbeiten gehen.

R: Ich habe schon vergessen, dass ich die Wäsche machen muss, ich wünsche dir noch einen schönen Arbeitstag.

A: Tschüss.

R: Bis dann.

 

 

 

Quellen:

Roth, Gerhard. Fühlen, Denken, Handeln. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2001.

Stewart, Ian & Joines, Vann. Die Transaktionsanalyse. Freiburg im Breisgau: Herder,  2000.

Warnke, Ulrich. Quanten Philosophie und Spiritualität. Berlin. München: Scorpio, 2011.